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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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harmlose Richterinnen werfen müssten, hatte nichts geändert, ebenso wenig wie der Umstand, dass eigentlich bis auf den Schrecken über den unerhörten Vorfall niemandem außer ihr etwas zugestoßen war.
    So hatte sie die Leute im ersten Licht der Dämmerung in dem Bewusstsein ziehen lassen, dass sie mit Zwang und Überredung nicht mehr als die Aussicht auf künftige Unzuverlässigkeiten gewonnen hätte. Allerdings war sie sich auch nicht mehr sicher, ob sie sich auf diejenigen, die aus Ehrenhaftigkeit oder schierer Trägheit geblieben waren, vollständig verlassen konnte. Sie waren eigenartig still gewesen, als Herrad nach einem hastigen Frühstück eine erneute Durchsuchung der Ruinen anberaumt hatte.
    »Es gibt Dinge, die man nicht aufstören sollte, Frau Herrad«, hatte Maurus, der vor den Fluchtwilligen noch seine Tapferkeit zur Schau getragen hatte, zweifelnd gesagt. »Wenn Wigbold auch dort draußen beim alten Wachturm niemanden antrifft, sollten wir umkehren und Herrn Geta berichten, dass die Tricontinische Mark nun ein gänzlich verfluchtes und verlassenes Land ist … Das wird das Beste sein.«
    Alle, Adela wie auch die beiden Reitknechte, hatten zustimmend genickt und nur widerwillig eingesehen, dass sie bis zu Oshelms Rückkehr vom Brandhorst würden ausharren müssen.
    Der Einzige, der unbegreiflicherweise nichts gegen Herrads Entschlossenheit einzuwenden hatte, vor ihrer Abreise herauszufinden, was aus Honorius geworden war und wer mit Geisterstimme so wirkungsvoll ihren Rückzug gefordert hatte, war Ardeijas Dieb. Er hätte leicht die Gunst der Stunde nutzen können, um sich davonzumachen, auch unter Mitnahme einiger wertvoller Dinge von dem nur noch höchst unzureichend bewachten Karren, doch war er mit der gleichen Selbstverständlichkeit geblieben, mit der er in der Nacht die Kerze wieder entzündet und seinen schriftlichen Bericht beendet hatte.
    Herrad wusste nicht, ob er den Ausgang von Ardeijas Gefangenschaft abwarten wollte oder schlicht die Gelegenheit wahrnahm, seinen Sohn und sich hier für einige Tage mit durchfüttern zu lassen; für beides hätte sie ein gewisses Verständnis aufbringen können. Immerhin hatte er sich ungefragt bereiterklärt, mit den Tieren und beim Wasserholen zu helfen, und anders als ihre Leute, die die Suche nach Spuren all dessen, was sich in Tricontium zugetragen haben musste, mittlerweile abgebrochen hatten, um lieber am Feuer miteinander zu flüstern, streifte er wohl noch in den Ruinen umher. Herrad konnte ihn jedoch von ihrem augenblicklichen Standort auf einem halb abgedeckten, tief herabgezogenen Scheunendach nirgendwo erspähen, auch nicht den Jungen. Sie hatte nur die Feuerstelle und den Karren im Blick, etwas weiter entfernt auch das Wiesenstück, auf dem ein missmutiger Reitknecht über die Pferde und die beiden Ochsen wachte. Weitaus näher an der alten Scheune lag die kleine Treppe, auf der sie am vergangenen Abend gesessen hatte. Die Stufen waren von hier oben aus recht gut einsehbar, und die Richterin bedauerte, keine Kiesel oder dergleichen in den Taschen zu haben. Gelegentlich fragte sie sich, ob es sich in manchen Fällen nicht doch gelohnt hätte, schlechte Angewohnheiten aus Kindertagen beizubehalten.
    »Von hier oben haben sie den Stein gestern geworfen, nicht wahr?«
    Herrad fuhr ob der unerwarteten Frage zusammen; hätte sie sich nicht am Firstbalken festgeklammert, wäre sie wohl ins Innere der Scheune gestürzt.
    »Ja«, sagte sie dennoch mühsam beherrscht und wusste nicht, ob sie sich über Wulfilas plötzliches Erscheinen ärgern oder lieber über die Tatsache freuen sollte, dass wenigstens ein Mensch hier einen Anflug von Interesse für ihre Nachforschungen aufbrachte. »Habt Ihr einen dabei?«
    Wulfila schüttelte den Kopf. »Eure Schulter würde es Euch auch sehr übelnehmen, wenn Ihr nun Steine werfen wolltet. Aber ich muss mit Euch sprechen, Frau Herrad, und das am besten, bevor wir wieder hinuntersteigen und am Ende noch Zuhörer haben. Wulfin passt unten auf, dass niemand unbemerkt heraufkommt. Aber wir können die anderen ja ohnehin sehen, nicht wahr?«
    »Habt Ihr derart Gefallen an unserem gestrigen Gespräch unter drei Augen gefunden, dass wir es so rasch wiederholen müssen?«, fragte Herrad. Zwar sagte sie sich flüchtig und beinahe eher der Form halber, dass sie die Vertraulichkeit, die sich zwischen ihnen gerade einzuschleichen drohte, nicht hätte einreißen lassen dürfen, doch sie war müde und schlecht gelaunt und

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