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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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die Beute entgehen lassen.«
    Herrad hustete und versuchte, das leise Unbehagen, das in ihr aufsteigen wollte, gar nicht erst zu beachten. »Das ist in der Tat ungewöhnlich … Aber warum erzählt Ihr mir von all diesen Schätzen, statt Euch schon auf die besagte sorgenfreie Zeit zu freuen?«
    »Was unterstellt Ihr mir?« Wenn Wulfilas Entrüstung geheuchelt war, so war sie gut gespielt. »Man kann doch nicht von den Toten stehlen! Ihr mögt keinen vorteilhaften Eindruck von mir haben, mit gutem Grund, das gestehe ich, doch ich raube keine Gräber aus, das wäre …« Er suchte nach Worten und schloss einfallslos: »Eben etwas, das man nicht tut.«
    Die Richterin hätte ihn beinahe daran erinnert, dass auch Feld- und Gartendiebstähle oder das Entfernen der besten Kleidung von fremden Wäscheleinen nicht unbedingt zu den Dingen gehörten, die man »tat«, doch sie hielt sich zurück. »Nein«, sagte sie nur, »das wäre wirklich etwas, das man nicht tut, doch ob alle hier so darüber denken, wenn sie von den Kostbarkeiten erfahren, die Ihr mir beschrieben habt, weiß ich nicht. Kommt! Ich möchte mir die Sache selbst ansehen.«
    Damit machte sie sich an den Abstieg, der sich schwieriger gestaltete, als sie sich ihn gedacht hatte. Auf dem Weg nach oben war ihr in ihrem Eifer, festzustellen, ob sich der Angreifer des gestrigen Abends tatsächlich auf dem Scheunendach befunden haben konnte, kaum aufgefallen, wie moosig und glatt manch einer der alten Balken war. Als sie endlich wieder heil auf festem Boden stand, sah der Kaftan, in dem sie mittlerweile schon mindestens einen Tag zu lange gesteckt hatte, nicht besser aus als zuvor, und ihre stumme Unzufriedenheit ließ nicht eben nach, als Wulfin sie freundlich darauf hinwies, dass eine große Spinne auf ihrem rechten Ärmel saß. Vermutlich lohnte es sich kaum, das Tier zu entfernen, denn wer wusste schon, was für Ungeziefer in der Krypta nur darauf wartete, den Platz der Spinne einzunehmen? Außerdem schmerzte die Schulter der Richterin nach der Kletterpartie weit mehr als zuvor, doch ein blauer Fleck – selbst einer von solch beträchtlichen Ausmaßen – war nichts, worüber man klagen konnte, wenn neben einem gerade jemand mit einem zerschlagenen Rücken lautlos ein Dach hinauf und wieder herunter gestiegen war.
    Eigentlich hätte es sie nicht weiter stören sollen, dass Wulfila nun die Folgen einer gerechten Strafe zu ertragen hatte, doch er war bleich, als er kurz nach ihr auf dem Boden eintraf, und als sie ihn bei dem ungelenken Versuch beobachtete, sein Haar, das der Wind oben auf der Scheune zerzaust hatte, ordentlicher zurückzubinden, tat er ihr leid.
     »Kommt«, sagte sie und es war eher eine Bitte als ein Befehl. »Gehen wir. Aber nachher, wenn wir den Besuch in der Kirche hinter uns haben, müsst Ihr mir helfen, das Gepäck auf dem Karren auseinanderzunehmen. Irgendwo dort ist ein Topf mit Beinwellsalbe, die noch gut sein dürfte. Es wird für uns beide genug sein, wenn wir geschwisterlich teilen.«
    Wulfila sah sie ebenso dankbar wie überrascht an. »Das ist gut«, sagte er nach einer ganzen Weile, als sie sich bereits in Bewegung gesetzt hatten, hinter der Scheune herum und quer über Mauerstücke, um sich nicht den neugierigen Blicken der Leute im Hof auszusetzen. »Doch Ihr wisst, dass Ihr damit Fürst Asgrims achtbare Bemühungen, mich auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, untergrabt? Ich nehme an, es soll so weh wie nur möglich tun.«
    Herrad versetzte einem an all ihrem Leid vollkommen unschuldigen Steinchen, das nur das Pech hatte, just vor ihrer Fußspitze zu liegen, einen kräftigen Tritt und sah mit Befriedigung, wie es in einem alten Kellerloch verschwand. »Ich bin gelegentlich ein missgünstiger Mensch. Wo ich keinen Erfolg hatte, soll auch Asgrim vom Brandhorst keinen haben.«
    »Oh, ein wenig Erfolg hattet Ihr doch«, erwiderte Wulfila und packte nebenbei seinen Sohn beim Kragen, der allzu viel Neigung zeigte, den dunklen Schacht, in den Herrads Stein gefallen war, zu erforschen. »Hier entlang, Wulfin. – Wie gesagt, ein wenig Erfolg hattet Ihr. Es war diesmal weder ein Huhn noch ein Hemd dabei.«
    »Das beruhigt mich. Von nun an also auch keine Kürbisse mehr?«, fragte Herrad und beförderte den nächsten kleinen Stein, der ihr in die Quere kam, an die Stämme eines Haselstrauchs.
    Sie traten durch den leeren Bogen, der einmal das Portal der kleinen Kirche gewesen war, ins Kirchenschiff, aus dem man nun geradewegs in den

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