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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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Himmel blicken konnte.
    »Ich werde mich bemühen«, versprach Wulfila und folgte ihr zu der engen Treppe hinüber, die an der Nordwand nahe beim ehemaligen Chor in die Krypta hinabführte. »Wulfin? Du passt auf, dass uns niemand stört.«
    Diejenige Hand Wulfins, auf der kein Drache saß, war in seiner Tasche verschwunden. »Ich wollte die Knochen auch sehen«, sagte er so unzufrieden, wie wohl nur jemand klingen konnte, der in den vergangenen Tagen einmal zu oft zur Wache abgestellt oder zu ungünstiger Zeit zum Drachenfüttern fortgeschickt worden war. »Und den Schatz.«
    »Nachher, wenn noch Zeit ist und Frau Herrad es gestattet«, entgegnete sein Vater unbewegt, »doch jetzt muss jemand hier oben Acht geben.«
    »Hm«, sagte Wulfin. Vermutlich war das als eine Zustimmung unter Protest zu verstehen, denn er ging zu den Altarstufen hinüber und setzte sich brav hin. Noch war er nicht so groß, dass sein finsterer Blick nicht zum Lächeln gereizt hätte; zugleich aber verspürte Herrad einiges Mitleid. Erst als halb unfreiwilliger Mittäter bei einem Diebstahl von minderer Bedeutung in ein Verlies gesteckt zu werden, dann einen anstrengenden Tagesmarsch bis nach Tricontium zu machen, einen unerklärlichen Spuk mitzuerleben, dennoch von allen wichtigen Unterhaltungen ausgeschlossen zu werden und nun weder gefährliche alte Keller erkunden noch aufregende Gerippe ansehen zu dürfen, war hart und sie wusste nicht, ob sie an Wulfins Stelle noch die nötige Beherrschung gewahrt hätte, um lediglich mürrisch dreinzusehen, statt sich laut zu beklagen.
    »Wir können es auch anders machen«, sagte sie und zog den Fuß, den sie schon auf die erste Stufe gesetzt hatte, wieder zurück. »Komm her und gib mir Gjuki.«
    Wie immer, wenn er unversehens von einem bequemen Platz hochgerissen wurde, strampelte und schimpfte der kleine Drache, als sie nach ihm griff, doch diese Unmutsbekundungen hielten nicht lange an, und bald hing Gjuki ruhig zwischen den Händen der Richterin und betrachtete sie aus klugen Augen, die wie heller Bernstein glänzten.
    »Gjuki, du wirst aufpassen«, verkündete Herrad sehr ernst. »Niemand darf zu uns herunter, während wir dort bei den Gräbern sind. Wenn jemand kommt, rufst du laut. Ganz gleich, wer kommt, hast du verstanden?«
    Eine Antwort bekam sie nicht, doch hatte sie auch nicht mit einer gerechnet. Stattdessen wand sich Gjuki aus ihrem Griff, um weich und federnd auf dem Boden zu landen und sich dort, die Vorderpfoten in die Luft erhoben, mit schiefgelegtem Kopf auf die Hinterbeine zu setzen.
    Herrad raffte ihr Gewand, das an einer rauen Stelle der Kirchenwand hängen geblieben war. »Wir können gehen; du auch, Wulfin. Ich habe einen Wächter aufgestellt.«
    Der Junge strahlte, doch Wulfila machte ein derart zweifelndes Gesicht, dass Herrad fürchtete, fälschlicherweise eine wichtige Erziehungsfrage für eine Kleinigkeit, in die man getrost eingreifen konnte, gehalten zu haben. Sie war schon nahe daran, zu einer Entschuldigung für ihre Unbedachtheit anzusetzen, als er endlich sprach. »Seid Ihr Euch sicher, dass die Sache auch gut gehen wird?«
    Zur heimlichen Erleichterung der Richterin deutete Wulfila auf Gjuki und nicht auf seinen Sohn.
    »Gewiss doch«, versicherte sie und wandte sich endlich wieder den abgenutzten Stufen zu. »Zwar weiß ich nicht wie, doch er versteht einiges von dem, was man ihm sagt. Ardeijas Geschichten darüber sind zuweilen weit hergeholt, aber ich weiß, dass Gjuki einem eine frische Schreibfeder bringen kann, wenn man ihn lieb bittet. Also wird er wohl auch Wache halten können.«
    »Ist es wahr, dass Drachen hundert Jahre alt werden?« Wulfin war hinter ihr auf der Treppe und schien anzunehmen, in der Richterin eine in allen drachenkundlichen Fragen bewanderte Gelehrte vor sich zu haben. »Oder noch älter?«
    »Wenn ja, dann wird es keiner von uns bei Gjuki miterleben«, gab Herrad zurück, ohne sich umzusehen, »denn als Ardeija ihn gefunden hat – oder andersherum – war Gjuki noch nicht ganz ausgewachsen. Ganz klein und weich und viel rosiger als heute. Er hat viel geschlafen, mit Vorliebe auf meiner Gesetzessammlung. Aber wenn ich es recht bedenke, tut er das eigentlich heute noch.«
    Sie waren unten angekommen und Herrad blinzelte, um im schwachen Grau des Tages, das durch einen langgezogenen Schacht in die niedrige Gruft drang, überhaupt etwas zu erkennen. Die Deckplatten der beiden Sarkophage, bei denen es sich eher um schlichte Steinkisten

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