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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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handelte als um solche Kunstwerke, wie Herrad sie aus der römischen Nekropole von Aquae kannte, waren tatsächlich mit roher Gewalt zu Boden befördert worden, doch was Herrad zurückprallen ließ war nicht Entsetzen über diese achtlose Vorgehensweise.
    Zwischen den beiden Gräbern hatte sich bei ihrem Eintritt eine Gestalt aufgerichtet, die im Gegenlicht kaum mehr als ein bedrohlicher Schatten war, in ihrer Unbestimmbarkeit furchterregend genug, um die Richterin einen Herzschlag lang ihren Kriegern Abbitte leisten zu lassen.
    Dann aber gewann ihre Vernunft wieder die Oberhand und sie fragte sich bitter, wie sie dumm und leichtgläubig genug hatte sein können, um sich von einem Verbrecher, den sie selbst verurteilt hatte, und einem Kind in die Falle locken zu lassen, noch dazu mit einem Märchen über Goldschätze in alten Särgen, die doch gewiss schon dutzendfach geplündert worden waren. Denn vor ihr stand ein sterblicher Mensch in einem erdbraunen Mantel, kein Geist.
    Diese Erkenntnis änderte die grundsätzliche Lage nicht gerade zum Besseren. Einem Spuk mochte durch gute Worte beizukommen sein, wenn es sich um ein freundliches Gespenst handelte, doch diesen beiden Kerlen würde sie gänzlich ausgeliefert sein, da Wulfila sich zwischen ihr und der Treppe hinauf in die Freiheit befand und Hilferufe von hier unten kaum bis zu dem faulen Pack, das oben am Feuer hockte, dringen würden. Eine halbe Hoffnung blieb jedoch – Wulfin musste sich genau hinter ihr befinden. Vielleicht würde es sich lohnen, alle Bedenken abzuschütteln und ihn vorerst als Geisel zu nehmen?
     »Habt Ihr Euch an den Gräbern hier zu schaffen gemacht?«, fragte das verhinderte Gespenst anklagend, als sei es sein gutes Recht, Auskünfte dieser Art von Herrad einzufordern.
    Noch weit erstaunlicher als diese Unverfrorenheit war allerdings die Tatsache, dass Wulfila nun ganz ruhig an ihr vorbeiging und ihr den Fluchtweg freigab.
    »Du kannst einen zu Tode erschrecken«, stellte er fest, ohne dass es sehr tadelnd geklungen hätte, und begrüßte den Mann mit einer flüchtigen Umarmung, bevor er zurücktrat, um Wulfin vorbeizulassen, der dem Fremden mit einer Begeisterung, die Herrad bisher noch nicht an ihm erlebt hatte, geradezu in die Arme sprang. »Wie kommst du hierher?«
    »Das könnte ich dich auch fragen.«
    »Meine Geschichte ist aber wahrscheinlich verworrener und …« Wulfila brach ab. Ihm schien aufgegangen zu sein, dass all dies nicht eben den Regeln der Höflichkeit genügte, denn er wandte sich mit halb entschuldigender Miene zu Herrad um. »Verzeiht unseren Überschwang, Frau Herrad. Ich wusste nicht, dass er hier unten steckt, ja, noch nicht einmal, dass er überhaupt in Tricontium ist … Wartet, ich werde Euch einander vorstellen.«
    »Das ist nicht nötig.« Der Fremde hatte Wulfin wieder losgelassen und neigte nun den Kopf zum Gruß. »Wir kennen uns; wenn ich mich recht entsinne, hat Frau Herrad mich einmal bei einem Schachspiel geschlagen, während wir beide auf der Burg von Aquae lange warten mussten, sie auf ihren Vater und ich auf Fürst Bernward, und sie war damals noch keine elf Jahre alt. Ihr seid doch die Tochter Heribrands des Schreibers, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Herrad, »ja, ich bin Heribrands Tochter.«
    Sie wusste nicht, ob sie es eher anrührend oder beunruhigend finden sollte, dass sie aus drei Gesichtern heraus von beinahe den gleichen grauen Augen aufmerksam betrachtet wurde; es war fast ein Trost, dass Wulfila eines zu wenig besaß und damit die Reihe etwas durchbrach. »Ich wünschte, ich könnte Euch in Tricontium willkommen heißen und fröhlich in Erinnerungen schwelgen, Herr Corvisianus, doch weiß ich nicht, ob ich es kann und darf. Dem Vernehmen nach seid Ihr in den Steinbrüchen von Mons Arbuini oder solltet dort sein, doch Ihr wirkt mir kaum, als hättet Ihr die letzten sieben Jahre dort verbracht.«
    Wulfila setzte zu einer Antwort an, hielt aber inne, als sein Vater die Hand leicht hob. »Seid unbesorgt, Frau Herrad«, bat er, und sein Lächeln war einnehmend genug, Herrad kurz wünschen zu lassen, sie müsse sich tatsächlich nicht auch noch seinetwegen Gedanken machen, »es war nichts Unrechtes an der Sache, nur eine kleine List, um Aufsehen zu vermeiden. Ein Mann namens Corvisianus kam nach Mons Arbuini, ein Mann namens Wulf ging von dort weg. Das ist alles.«
    Herrad hatte die Arme verschränkt. »Vergebt, wenn ich offen spreche, doch das kann kaum alles gewesen sein.«
    Wulfila sah

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