Tricontium (German Edition)
einsperrt, ihn und ein Kind von noch nicht sieben Jahren?«
Der vorwurfsvolle Tonfall schien Gudhelm nicht zu treffen. »Ich wusste gut genug, dass Ihr bald hier gefangen sitzen würdet, und konnte Euch gegen Asgrim und seine Häscher nicht beistehen. Ein Geist kann einem lebenden Menschen weit weniger Schaden zufügen, als man gemeinhin annimmt. Deshalb konnte ich Euch nur einen leidlich zuverlässigen Boten verschaffen. Und überdies … Euer alter Freund ist inzwischen ein Dieb und hatte es verdient, aufgegriffen zu werden.«
Dagegen ließ sich nichts sagen und Ardeija schwieg, erinnerte er sich doch gut daran, wie Gudhelm noch im Winter vor Bocernae zwei Landstreicher, die einen Hühnerstall ausgenommen hatten, vom Burghof in Sala bis an den alten römischen Meilenstein an der Straße nach Aquae hatte prügeln lassen. Damals hatte Ardeija nichts dabei gefunden, und er hatte jahrelang ebenso wenig daran gezweifelt, dass Frau Herrads Urteile weise und gerecht waren, nur wahrhaft Schuldige trafen und die gestörte Weltordnung wieder ins Lot brachten. Doch hier ging es um Wulfila, nicht um irgendeinen gemeinen Dieb, und auch Fürst Gudhelm hätte begreifen müssen, dass jener Kürbis sicher nicht aus reinem Übermut gestohlen worden war … Doch er würde es nicht begreifen; für ihn ging es nicht um einen Freund, sondern allenfalls um ein nützliches Werkzeug, und Ardeija wusste gut genug, dass es keinen Sinn gehabt hätte, darüber zu streiten. Eines aber wagte er anzumerken. »Dieb oder nicht, hat er es auch verdient, nach Tricontium geschickt zu werden? Warum seid Ihr nicht selbst gegangen, statt einem armen Teufel und einem Kind einen langen Tagesmarsch zuzumuten, mitten in einen Barsakhaneneinfall hinein?«
»Von den Barsakhanen wusste ich nichts, und hätte ich von ihnen gewusst, hätte ich dennoch nicht helfen können.« In Gudhelms Lächeln lag Bitterkeit. »Ihr traut mir zu viel zu, mein guter Ardeija, doch Botendienste zu leisten ist für mich nicht so einfach, wie Ihr es Euch vorstellt. Wohl könnte ich an jeden Ort dieser Welt leicht gelangen, wenn ich es so wollte, doch würde uns das in diesem Fall nichts nützen. Seht! Ich scheine hier schon ein wenig durch« – er hielt eine weiße Hand, durch die deutlich die Steine der Wand zu erkennen waren, vor Ardeijas Gesicht, und fuhr zugleich mit der Fußspitze durch die dünne Strohschicht am Boden, ohne auch nur einen Halm zu bewegen – »und könnte Euch nicht anschreien, selbst wenn ich es für nützlich hielte. Meine Stimme ist hier schon halb verschwunden. In Bocernae, auf dem alten Schlachtfeld, würde ich Euch fast wie ein lebender Mensch entgegentreten, und unten im Dorf, wo ich Euren Freund traf, bin ich immer noch besser zu erkennen als hier oben. In Tricontium aber wäre ich ganz unsichtbar und unhörbar. Ich könnte Frau Herrad viel erzählen und vor ihr einen Tanz aufführen – sie würde nichts hören oder sehen.«
Wäre er nicht überzeugt gewesen, dass sich derlei in Gegenwart eines fürstlichen Geistes nicht gehörte, hätte Ardeija sich nun nachdenklich die Nase gerieben. »Ihr wollt sagen, dass Ihr besser zu erkennen seid, je näher Ihr Euch an dem Ort befindet, an …« … an dem Ihr gestorben seid hätte wohl unhöflich geklungen. »An dem die Schlacht stattgefunden hat, damals?«
Gudhelm nickte. »Früher glaubte ich, Geister müssten zur Strafe umgehen und wären an einen Ort gebannt, wie man Lebende in ein Gefängnis sperren kann. Doch dem ist nicht so. Stellt es Euch eher vor, als ob dort am Fluss, wo der Speer mich traf, eine große Kerze stünde. Bin ich nahe an ihr, so seht Ihr mich deutlich, je weiter ich mich entferne, desto schwieriger wird es … Und irgendwann bin ich aus dem Lichtkreis heraus und damit für Euch verschwunden.« Er lachte, und sein schwerer Purpurmantel schwang in einem Luftzug, den Ardeija nicht spüren konnte. »Natürlich hinkt der Vergleich, aber er muss hinreichen.«
Ardeija nickte; er glaubte zu verstehen, worauf Gudhelm hinauswollte. »In dem Fall danke ich Euch dafür, dass Ihr mir einen Boten gesandt habt«, sagte er, obwohl er ganz und gar nicht wusste, ob er dafür dankbar sein sollte. »Und wenn dadurch Oshelm den Barsakhanen nicht über den Weg gelaufen ist, hat es schon sein Gutes.«
Gudhelm lächelte mit einem Hauch von überlegenem Spott. »Ah, der gute Schreiber wäre in jedem Fall davongekommen. Es ist bisher noch niemandem gelungen, ihn ums Leben zu bringen.«
Ardeija
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