Tricontium (German Edition)
mehr davon als jeder andere. Denn mit einem hatte der Kaufmann Erfolg, auch wenn er daran nicht mehr viel Freude gehabt haben wird. Alle Schriftstücke, die sich in dem Haus befunden hatten, waren nur noch ein Häuflein Asche, und sämtliche Vermerke über frühere Urteile waren vernichtet. Natürlich betraf das nicht meinen Vater. Sein Urteil muss in irgendeiner Truhe in Padiacum liegen, nicht weiter beachtet, hoffe ich. Doch nach Salvinae kam kurz nach dem Brand ein neuer Richter, der alte König war eben gestorben, und das Niedergericht abgebrannt … Das brachte mich auf einen Gedanken.«
An dem Morgen, an dem im Jahr nach Bocernae der erste Schnee gefallen war, war also ein Mann mit nur einem Auge, einer der vielen entlassenen Krieger, die es nach dem Ende des Aufstands allenthalben gegeben hatte, zu dem neuen Richter in Salvinae gekommen, in einer Sache, wie sie gewöhnlicher gar nicht hätte klingen können. Sein Vater sei in den letzten Kriegswirren in Salvinae für einen frechen Diebstahl verurteilt worden, das sei seines Wissens auch gerechtfertigt gewesen, doch habe es sich eben nur um einen Fischdiebstahl gehandelt, und er wolle sich erkundigen, ob es nicht möglich sei, die Strafe durch die Zahlung einer angemessenen Geldbuße abzulösen. Ihm sei bewusst, dass die Angelegenheit schwierig sei, da alles Schriftliche verloren sein müsse, doch er könne nötigenfalls beeiden, dass die Verurteilung in Salvinae geschehen sei, und irgendetwas müsse sich doch tun lassen. Man könne doch gewiss dem früheren Richter schreiben oder andere Zeugen finden?
Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand sich die Mühe machen würde, einem Richter, der sich nun zwei Reisewochen entfernt im Süden befand, zur Klärung einer wenig weltbewegenden Frage einen Boten zu senden, war gering gewesen, und der neue Richter hatte denn auch nur verkündet, sich mit dem Vogt besprechen zu wollen. Nur einen einzigen Einwand hatte er gehabt. »Wisst Ihr nichts Besseres mit Eurer Kriegsbeute anzufangen?« Dabei hatte er mitleidig auf die hochschwangere Frau, die den Besucher begleitet hatte, gedeutet.
»Was wollt Ihr?«, hatte der Krieger mit einem Schulterzucken erwidert. »Es gehört sich nun einmal so.« Und dem war nichts entgegenzusetzen gewesen.
Am nächsten Tag war er allein wieder erschienen, um zu hören, dass der Vogt sich an einen vor das Niedergericht gebrachten Fall, den es so nie gegeben hatte, sehr gut erinnern konnte und seinem neuen Richter bedeutet habe, dass eine Buße von vierundzwanzig goldenen Solidi recht angemessen sei und so gewiss auch in dem verbrannten Urteil gestanden habe.
Hier hielt es Herrad nicht mehr aus, weiter ruhig zuzuhören. »Ihr seid allen Ernstes damit durchgekommen?«
Wulfila hob die Schultern. »Es wäre ja beinahe nichts daraus geworden. Ich hatte keine nennenswerte Kriegsbeute, und ganz gewiss keine vierundzwanzig Solidi.«
»Dankt Gott, dass ich hier nur zu meiner Unterhaltung eine Geschichte anhöre und darüber kein Urteil zu fällen habe … Ich will gar nicht wissen, woher Ihr die vierundzwanzig Solidi genommen habt – überspringt das.«
Doch ihre Aufforderung fand kein Gehör.
»Habt Ihr einmal durchgerechnet, wie lange man wohl beschäftigt wäre, um vierundzwanzig Solidi zusammenzustehlen?«, fragte Wulfila nämlich fast vorwurfsvoll. »In Kürbissen wäre das einiges, und in Hühnern auch.«
»Wir hatten auch schon ein Hemd, und nicht irgendein Hemd, sondern ein sehr feines Seidenhemd«, gab Herrad in der festen Überzeugung, dass ihr Tadel berechtigter war als der seine, zurück. »Und Ihr werdet mir nicht weismachen, dass Ihr Euch noch nie an mehr vergriffen habt. Ihr könnt froh und dankbar sein, dass man Euch bisher nur bei Kleinigkeiten ertappt hat.«
Das Schweigen, das diesen Worten folgte, dauerte viel zu lange, und die Dunkelheit hatte sich mittlerweile so weit gesenkt, dass Herrad nicht erkennen konnte, ob es ein beschämtes oder aber ein sehr gekränktes war.
»Ihr wolltet mir sagen, dass Ihr das Geld damals nicht gestohlen habt?«, erkundigte sie sich am Ende, nachdem sie geraume Zeit dem Auftreffen der Pferdehufe auf dem Boden und den Geräuschen der Herbstnacht ringsum gelauscht hatte.
»Ja.« Anscheinend hatte Wulfila nicht beschlossen, sie für den Rest der Reise mit Nichtbeachtung zu strafen. »Und ich gebe Euch eines zu bedenken. Wenn ich bei der Aneignung fremden Eigentums kein Maß kennen würde, dann säße ich jetzt nicht auf einem
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