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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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schon eine Strafe zu sein.
    Allein Otachar, der ein vom König ernannter Markgraf und kein Fürst aus eigenem Recht gewesen war, hatte man selbst zum Bösewicht erklären können, und das war gründlich geschehen. Auch als alles andere schon vorüber gewesen war, hatte man noch Jagd auf seine Anhänger gemacht.
    Herrad hatte von all dem noch weniger mitbekommen, als sie es vor Wulfila zugeben wollte, und nicht allein, weil entlassene Söldner, herrenlos gewordene Gefolgsleute und eine Flut strittiger Erbschaftsangelegenheiten ihr viel Arbeit gemacht hatten. Zwölf Wochen lang war sie auch jeden Morgen zeitig aufgestanden, um zur Kirche Sancta Maria ad Quercus zu gehen und eine kleine grüne Kerze für die Seele des armen Alanus anzuzünden, bis sie eines Tages verschlafen und beim Aufwachen beschlossen hatte, dass sie nun genug für ihn gebetet hatte. Solch ein großer Sünder war er schließlich nicht gewesen.
    Wulfilas Stimme ließ sie aus ihren Erinnerungen auffahren. »Was habt Ihr mit ihm gemacht? Mit dem Sänger, meine ich?«
    »Ihr lenkt von dem ab, was wir eigentlich besprechen wollten«, ermahnte Herrad ihn. »Aber meinetwegen. Ich habe ihn vorsingen lassen. Er war nicht besonders gut, jedenfalls nicht gut genug, um die öffentliche Meinung nachhaltig zu beeinflussen, und mit der Begründung konnte ich ihn mit einer Verwarnung davonkommen lassen. Vielleicht hätte ich der Menschheit allerdings einen größeren Dienst erwiesen, wenn ich seine Harfe beschlagnahmt hätte … – Da, seht! Noch ein Troll, und der muss auf Euch gewartet haben.«
    Sie waren eben um eine Biegung gekommen, und auf dem niedrigen Ast einer alten Buche, der quer in den Weg ragte, kauerte ein kleiner Troll, ließ den langen Schwanz, der in einer rotbraunen Quaste endete, herabhängen und sah sie unter verkletteten Haarsträhnen, die ihm bis über die Nase fielen, forschend an. Vielleicht befand er, dass sie schon zu nahe heran waren, oder es war ein Rascheln im toten Laub zu ihrer Linken, das ihn aufschreckte. Jedenfalls brachte er sich mit einem Sprung ins Gebüsch in Sicherheit.
    Wäre dies schon ihr ganzes Erlebnis mit dem Waldgeschöpf gewesen, hätte Herrad es nicht weiter beunruhigend gefunden, doch glaubte sie, noch etwas anderes wahrgenommen zu haben, bevor der Troll sich ins schützende Dickicht geworfen hatte. Sie brachte ihr Pferd zum Stehen und wartete, bis Wulfila sein Tier ebenfalls gezügelt hatte. »Habt Ihr das auch gehört?«, fragte sie dann. »Ich meine … Hat er tatsächlich gesprochen?«
    Wulfila nickte. »Wenn er ›Kehrt um!‹ gesagt hat, dann habt Ihr dasselbe gehört wie ich.«
    Herrad holte tief Atem; die Waldluft war feucht und kühl, mit einer Ahnung von herannahendem ersten Frost. »Ihr habt ein Kind, Herr Wulfila, und einen Vater, der leicht wieder in Schwierigkeiten geraten könnte. Wenn Ihr auf den Troll hören und umkehren wollt, werde ich es Euch nicht nachtragen. Ich werde Euch vielmehr für sehr klug und vernünftig halten.«
    Gjuki schnaubte. Wulfila betrachtete Herrad aus seinem einen Auge, und die Besorgnis, die sie darin las, rührte sie fast. »Seht, Frau Herrad … Ich weiß nicht, wie Trolle reden oder ob sie gemeinhin überhaupt viel reden, aber ich glaube doch, dass sie nicht sehr gebildet und höflich sind. Die reden einen nicht mit ›Ihr‹ an, wenn sie nur mit einem Menschen sprechen. Er hat uns beide gemeint.«
    Die Richterin blickte auf den Weg, der dunkel und keineswegs einladend vor ihnen lag.
    »Vielleicht habt Ihr Recht«, sagte sie zögernd und war doch im Stillen überzeugt, dass sie ihr »vielleicht« durch ein »ganz gewiss« hätte ersetzen können. »Und wenn man eine Warnung erhält, muss man umkehren, nicht wahr? In irgendeinem Wald hier in der Nähe ist Varus nicht umgekehrt, als man ihn gewarnt hatte, und wir wissen ja, welche Folgen das hatte.«
    »Drusus ist aber umgekehrt«, sagte Wulfila hoffnungsvoll, »weil ihm irgendeine Frau mit einer Warnung erschienen ist. Vielleicht könnt Ihr aus dem Troll eine Seherin machen und euch auf ihn berufen?«
    »Mit Drusus ist es aber auch nicht gut ausgegangen«, sagte Herrad und wendete ihr Pferd, »der hat nicht einmal den Rückweg überlebt. – Nein. Hört lieber einmal zu und sagt mir, ob die Argumentation einwandfrei ist. Ich habe zwar Herrn Geta zugesichert, das Amt einer Richterin in der Marchia Tricontina zu übernehmen, und entsprechende Urkunden erhalten, aber ich hätte mich erst mit Fug und Recht als amtierende

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