Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
den Gesichtern der Beamten hin und her. »Dieses Medaillon wurde der Toten an ihre Kette gehängt.«
Der Anhänger war daumengroß, kreisrund und flach wie eine Geldmünze. Auf der Vorderseite war die Gravur einer weiblichen Figur zu sehen. »Eine griechische Göttin.« Dr. Bodde drehte den Beutel um. »Auf der Rückseite des Medaillons steht:
Aletheia.
Übersetzt bedeutet das: Wahrheit
.
«
»Sie sagten gerade, dieser Anhänger sei der Toten an die Kette gehängt worden?«, vergewisserte sich Berger. »Was heißt das für uns?«
»Nun, der Mörder hat der Frau das Medaillon um den Hals gelegt, nachdem
er sie so zugerichtet hat.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Der Anhänger weist kaum Blutspuren auf, was bedeutet, dass das Medaillon erst an der Kette befestigt wurde, als das Blut der Toten bereits geronnen war.«
»Ich verstehe.« Bergers nächste Frage war Beweis dafür, dass er tatsächlich begriffen hatte. Aber eigentlich war es auch keine wirkliche Frage mehr, sondern eine felsenfeste Feststellung. »Die Frau wurde also nicht an diesem Ort getötet?«
»Genau, der Fundort ist nicht gleich dem Tatort. Der Täter hat sie nur erneut hier abgeladen.«
»Moment mal!«, meldete sich Muth. »Was heißt hier erneut?«
Dr. Bodde musterte die junge Kommissarin erstaunt. »Hat Ihnen das noch niemand gesagt? An genau dieser Stelle haben wir im letzten Oktober schon einmal eine Prostituierte gefunden. Auch sie wurde zu Tode gepeitscht.«
53
Tabori verschwand in der Tür des nächstbesten Ladens und duckte sich zwischen den hüfthohen Regalen. Vorsichtig lugte er zum Schaufenster des türkischen Kiosks hinaus, wo die beiden Rumänen standen. Der Schnee wirbelte ihnen um die Ohren, während sie die Köpfe zusammensteckten. Hatten sie Tabori entdeckt? Warteten sie vielleicht nur darauf, dass er sich wieder aus dem Geschäft traute?
Er ging in die Hocke und lauschte auf Geräusche an der Tür. Schritte näherten sich. Doch statt der zwei Rabauken klopfte sich im Eingangsbereich eine Frau den Schnee von der Jacke. Die beiden Typen waren nicht mehr zu sehen.
Trotzdem wollte Tabori nicht gleich zurück in die grimmige Kälte. Er behielt die Straße im Auge, während er an den Auslagen des Ladens vorbeischlenderte. Obst und Gemüse füllten die Regale, es gab Brot, Gebäck und sogar Kuchen. In diesem kleinen Geschäft gab es viel mehr, als der Bäcker in Taboris Heimatdorf je im Angebot gehabt hatte.
Sein hungriger Magen meldete sich schlagartig zurück, aber selbst für eine kleine Mahlzeit, eine Schrippe, eine Birne oder einen Apfel fehlte ihm das Geld. Zudem hielt der Verkäufer einen wachsamen Blick auf ihn gerichtet. Rasch wandte Tabori sich dem Ausgang zu, wo eine junge Frau gerade ihren Kinderwagen in den Kiosk schob. Der Kassierer beugte sich lächelnd zu dem brabbelnden Baby hinunter. Er wechselte einige Worte mit der Mutter, bevor er ihr einen Brotlaib in eine Plastiktüte wickelte. Nach wie vor beobachtete er Tabori aus den Augenwinkeln. Erst als die Frau ihre Geldbörse zückte, trat der Händler hinter die Kasse, und Tabori war unbeobachtet.
Er kam am Obst vorbei. Die Äpfel waren frisch. Nicht eine einzige braune Stelle verunzierte ihre verlockend glänzende Schale. Es konnte so einfach sein. Nur ein schneller Handgriff. Tabori streckte die Hand aus, seine Finger berührten die Frucht, dann zog er den Arm zurück, als hätte er sich verbrannt, und floh aus dem Laden – nur weg von der Versuchung, der er beinahe erlegen wäre. Er hatte noch nie geklaut, nicht einmal einen Apfel, und er war nach Berlin gekommen, weil er arbeiten wollte, nicht, um ein Dieb zu sein.
Nach einigen hundert Metern leuchtete der orange Schriftzug von
Saturn
vor ihm auf. Im Elektronikmarkt hielt sich ein fremder Junge, der etwas jünger als Tabori war, bei den Spielkonsolen auf. Als er Tabori auf sich zukommen sah, fragte er: »Möchtest du mit mir spielen?«
»Wo … Aidan?«
»Kenne ich nicht.«
Auch zwischen den Regalreihen war sein Freund nicht zu entdecken, sodass Tabori dem Kaufhaus entmutigt den Rücken kehrte. Auf der Straße hatte der Sturm noch einmal an Stärke zugelegt. Nur wenige Schritte, und Tabori war von einer weißen Schneeschicht eingehüllt. Die eisige Nässe sickerte durch den Riss in seiner Jacke bis auf die Haut. Bibbernd flüchtete er zurück ins Kaufhaus.
»Und?«, wollte der Junge an der Konsole wissen. »Hast du Aidan gefunden?«
Tabori verstand nicht. Der Junge wiederholte seine Frage und betonte
Weitere Kostenlose Bücher