Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
konnten ihn durch den Lärm der viel befahrenen Straße nicht hören. Auf jeden Fall reagierten sie nicht.
»Hey, ihr!«, schrie er deshalb noch einmal, diesmal lauter. »Das Messer runter, hab ich gesagt!«
Gleichzeitig machte er einen Schritt auf die Straße und hob die Hand. Mit aufgebrachtem Hupen stiegen Autofahrer in die Eisen. Einige Reifen quietschten, fanden auf der feinen Schneeschicht, die sich auf dem Asphalt gebildet hatte, nur mühsam Halt. Der Verkehr geriet ins Stocken, während Kalkbrenner sich durch die Karosserien schlängelte. Der Schneefall wurde immer dichter, sodass die rangelnden Jugendlichen auf der anderen Straßenseite nur noch als Umrisse zu erkennen waren.
»Ihr sollt das Messer runternehmen!«
Endlich bemerkten ihn die Jungen. Hektische Rufe ertönten, und die Meute zerstreute sich in alle Himmelsrichtungen. Zurück blieben die beiden drangsalierten Opfer. Der kleinere Junge trug schmutzige, zerrissene Klamotten am Leib, dem anderen mit dem wirren Haar rann eine Blutspur über das Kinn.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ihn Kalkbrenner.
»Danke, ja«, antwortete der Junge mit einem starken Akzent.
»Hast du dir sonst noch irgendwo wehgetan?«
»Nur ein Zahn.« Der Junge entblößte eine blutige Lücke. Dann flackerten seine Augen, und er drohte zu Boden zu stürzen.
Kalkbrenner fing ihn im Fallen auf. Stöhnend hielt sich der Junge den Hinterkopf. Zwischen den struppigen Haarsträhnen klaffte eine Platzwunde, nicht besorgniserregend, aber auch nicht besonders beruhigend.
»Kommt mit zu meinem Wagen.« Kalkbrenner sprach betont langsam. »Dort habe ich einen Erste-Hilfe-Kasten.«
»Ja, Erste Hilfe.« Der Junge humpelte auf seinen kleineren Freund zu, der wie sein Bruder aussah. Dem Jüngeren war es besser ergangen. Zum Glück hatte das Messer keinen Schaden angerichtet.
»Wer waren die Typen?«, wollte Kalkbrenner wissen.
»Rumänen«, antwortete der große Junge.
»Was wollten die von euch?«
»Geld.«
»Haben die euch abgezogen?«
Die beiden nickten.
»Wo müsst ihr jetzt hin?«
Sie wechselten einen bedeutungsvollen Blick, der Kalkbrenner alles verriet.
Schulschwänzer. Ausreißer
. Der Beamte winkte sie zum Passat. »Na kommt, gehen wir erst einmal zum Auto. Dort habe ich Desinfektionsmittel und Pflaster.«
Während sie an der Fußgängerampel warteten, klingelte sein Handy.
»Sebastian hier«, meldete sich Berger. »Wir haben einen Einsatz.«
Schön
,
dass du mich auch schon anrufst.
»Ich auch.«
»Wie, du auch?«
Die Ampel sprang auf Grün. Sie setzten sich in Bewegung. Der Kleinere streckte den Finger zum Passat aus. »Ky është një polic!«
»Jo, policia«, antwortete der Größere. »Na marrin me vete.«
Kalkbrenner verstand das Wort
policia
,
aber da suchten die beiden Kids schon das Weite.
»Wo wollt ihr hin?«, rief er ihnen nach. Umsonst.
An den Passanten vorbei flitzten sie in eine Einkaufsgalerie. Was immer die zwei ausgefressen hatten, sie waren wild entschlossen, sich nicht erwischen zu lassen.
»Was ist los?«, fragte Berger. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Jetzt ja.« Kalkbrenner setzte sich auf den Fahrersitz des Wagens und startete den Motor. »Ich mache mich auf den Weg zu euch.«
»Wir sind in Charlottenburg. Am Karl-August-Platz.«
»Weiß ich längst.«
»Ach ja?«
Wütend legte Kalkbrenner auf.
51
Tabori hatte die Ausrüstung im Fahrzeug ihres Retters erkannt. »Das ist ein Polizist!«
»Keine Polizei!«, warnte Aidan. Zum Glück konzentrierte sich der Mann mehr auf sein Telefongespräch als auf sie. »Lass uns abhauen!«
Aidan rannte voraus. Er humpelte nicht mehr und ließ sich die Schmerzen, die er zweifellos haben musste, auch sonst nicht anmerken. Nach wenigen Metern suchten sie in einer belebten Einkaufsgalerie Zuflucht. Auf einer schmalen Bühne schmetterte ein gedrungener Mann Schlager. Er schien sehr beliebt zu sein, denn das klatschende Publikum drängte sich vom Podest bis zum Ausgang.
Tabori und Aidan bahnten sich einen Weg durch die dichte Menschenansammlung. Auf der anderen Seite des Gebäudes gelangten sie schließlich wieder zu einem Ausgang.
»Und wohin jetzt?«, fragte Tabori, während dichter Schneefall ihn umfing.
Aidan reagierte nicht. Er war nicht mehr an Taboris Seite.
»Aidan?« Tabori wirbelte panisch herum. »Wo bist du?«
Doch nur die helle Stimme des Sängers antwortete ihm. Der Mann dankte gerade dem Publikum für den Applaus und stimmte gleich darauf ein neues Lied an. Er hatte
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