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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Türen hindurch.

143
    Gönnen Sie sich die Ruhe.
Doch Annas Geist war in hellem Aufruhr.
Ihr Blick hetzte panisch zur Tür.
Warten Sie
,
ich bringe ihn zu Ihnen.
Jeden Moment konnte Alan ins Zimmer kommen. Der Gedanke an seine Anwesenheit war unerträglich.
Alles
,
nur das nicht.
    Anna rang nach Luft, die im nächsten Moment scharf in ihre gebeutelte Kehle schnitt. Sie hob den Oberkörper, was ihr leichter als erwartet gelang, und schob die Beine über die Bettkante. Sehr viel weiter kam sie nicht, da die Kanülen und Schläuche ihre Bewegungsfreiheit hemmten. Die Plastikbeutel mit den Infusionslösungen schaukelten an den Stangen wie im Sturm. Ohne nachzudenken, riss Anna sich die Pflaster von der Haut und zog die Nadeln heraus. An den Wunden bildeten sich Blutstropfen, die immer größer wurden, bis sie die Hand hinabrannen und auf den Boden fielen. Anna griff nach einer der Kompressen auf dem Tablett und befestigte sie provisorisch mit den alten Pflastern.
    »Machen Sie das nicht!«, flüsterte die Patientin aus dem Nachbarbett. Ihr Haar war ein einziger dichter Lockenwust.
    »Bleiben Sie besser liegen, Kindchen«, fügte die andere hinzu, deren fahles Gesicht sich von der weißen Bettwäsche kaum abhob.
    Aber Anna war schon dabei, einen Fuß auf das Linoleum zu setzen. Sie bemühte sich, nicht in die wässrige Lauge zu treten, die aus den Infusionsschläuchen gelaufen war, und belastete vorsichtig das Bein.
    »Warten Sie wenigstens auf den Arzt«, bat der Lockenkopf.
    »Oder auf Ihren Mann, ach, Kindchen«, sagte die bleiche Frau.
    »Machen Sie sich nicht noch mehr Kummer.«
    Noch mehr Kummer geht gar nicht.
Als Anna glaubte, halbwegs sicheren Stand zu haben, ließ sie das andere Bein folgen. Eine kurze Pause, dann atmete sie tief ein und stellte sich hin. Schwindel erfasste sie, aber das Gefühl verging nach wenigen Sekunden.
    Trotzdem blieb sie wie gelähmt stehen. Vom Krankenhausflur hörte sie sich nähernde Stimmen.
Bitte nicht Alan. Nicht der Arzt. Auch nicht Schwester Doris.
Annas Gebet wurde erhört. Die Zimmertür blieb geschlossen, und die Personen entfernten sich wieder.
    Noch etwas unsicher tappte sie zum Schrank, in dem sie wie erwartet ihre Sachen fand: ihre Hose, eine Bluse, frisch gewaschen, sogar faltenlos gebügelt, dazu Socken, Schuhe und eine Winterjacke.
Was soll das alles? Was bezweckt Alan damit?
    Unter erheblicher Anstrengung schlüpfte sie aus dem Pyjama und in die Kleider. Ihr Herz raste, immer wieder wurde ihr Körper von Hustenattacken geschüttelt. Gerade als sie sich die Schuhe zuschnüren wollte, öffnete sich die Tür, und Sandalen quietschten in das Zimmer. »Der Doktor wird gleich kommen. Zuvor will er mit Ihrem Mann noch … Aber Frau Benson, was machen Sie da?«
    Anna band sich die Schleife zu Ende, dann baute sie sich vor Schwester Doris auf. So leicht ihr das Stehen inzwischen auch fiel, ihre Stimme war nach wie vor belegt. »Ich …«, keuchte sie, »… gehe.«
    »Aber Sie können nicht einfach gehen!«
    Anna ignorierte die Pflegerin. Doch bevor sie den Krankenhausflur erreichen konnte, ergriff sie ein neuerliches Schwindelgefühl, und sie kippte zur Seite.
    Schwester Doris fing sie auf. »Sehen Sie, Frau Benson, Sie sind noch nicht so weit.«
    Die Benommenheit fiel von Anna ab. Sie war wieder Herr der Lage. Nur das Zittern ihrer schwachen Beine konnte sie nicht unterdrücken, aber damit konnte sie leben.
    »Sie müssen sofort wieder zurück ins Bett«, befahl die Pflegerin.
    »Nein, Sie …« Die Worte gingen in einem heiseren, unverständlichen Schnarren unter, nur eins war klar und deutlich zu verstehen: »… Polizei …«
    »Ja, das ist richtig. Die Polizei will auch noch mit Ihnen reden. Aber erst, nachdem der Arzt Sie untersucht hat. Und Ihr Mann …«
    »Mein Mann …« Anna wollte widersprechen, aber der Husten vereitelte den Versuch.
    Die Schwester nahm sie fürsorglich an die Hand. »Ja, Ihr Mann ist in Sorge um Sie.«
    In Sorge um mich?
Die Worte klangen in Annas Ohren wie ein schlechter Witz. Doch Schwester Doris meinte es ernst, und Anna begriff, dass sie von den Ärzten und Pflegerinnen niemanden vom Gegenteil würde überzeugen können. Sie hatte nichts gegen Alan in der Hand.
Niemand glaubt dir!
    »Ich werde jetzt den Arzt rufen!« Die Schwester zog einen kleinen Pager aus ihrer Kitteltasche. »Vielleicht gelingt es ihm ja, Sie zur Besinnung zu bringen.« Damit verließ sie endlich wieder das Zimmer.
    Aber Anna war entschlossen, mehr denn je. So

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