Trieb
jetzt kommen Sie schon rein.«
Hinter einer weiteren schweren Eisentür erscholl Kindergeschrei und Rockmusik. Offenkundig herrschte ausgelassene Stimmung.
»Sind das die Jungen?«, fragte Kalkbrenner.
»Ja, aber machen Sie sich keine Hoffnung«, beschied Wolfsbach. »Wir gehen gleich in mein Büro.«
Das Arbeitszimmer war ein Zimmer mit rissigen Schränken, einem Schreibtisch mit sich biegender Platte und einem PC, auf dem vermutlich noch Windows 98 als Betriebssystem installiert war. Auch die Kaffeemaschine auf dem hüfthohen Holzschrank hatte die besten Jahre längst hinter sich. Einzig das Weihnachtsbäumchen auf dem Fensterbrett verlieh dem Raum einen, wenn auch erbärmlichen, Anschein von Gemütlichkeit.
»Sparen Sie sich jeden Kommentar, der Ihnen auf der Zunge liegt«, meinte Wolfsbach.
»Aber ich wollte gar nichts sagen.«
»Der Senat hat nun mal nicht viel übrig fürs Sozialwesen. Sie als Polizist müssten das genauso gut wissen.«
»Ist mir bekannt.« Aber Kalkbrenner war nicht gekommen, um mit Wolfsbach über das knappe Berliner Haushaltsbudget zu plaudern. »Erzählen Sie!«
Der Sozialarbeiter entnahm der Kaffeemaschine die Thermoskanne und füllte ungefragt drei Becher. Er setzte sich, während er sie auf dem Tisch abstellte, und forderte die Beamten auf, es ihm gleichzutun. »Also, ich habe mich auf der Straße umgehört, und Manuel wurde tatsächlich von einigen der Jungen im Steglitzer
Saturn-
Markt gesehen.«
»Wir müssen mit ihnen reden!«
»Das ist ausgeschlossen!«
»Hören Sie, es geht nicht mehr nur darum, ob Jugendliche zufällig Manuel in Begleitung eines Mannes gesehen haben. Inzwischen haben wir es mit zwei missbrauchten, misshandelten und ermordeten Jungs zu tun – und einem mutmaßlichen Mörder direkt aus
der Szene.«
Die Musik im Nebenraum wurde aufgedreht, und auch die Kinder lachten lauter. Wolfsbach neigte interessiert den Kopf. »Aus welcher Szene?«
Kalkbrenner knallte ihm zwei Bilder auf den Tisch. Die Platte gab unter dem Hieb nach, Kaffee schwappte über die Becherränder und färbte die umliegenden Papiere braun. Wolfsbach seufzte.
»Kennen Sie die beiden Männer?«, wollte Kalkbrenner wissen.
»Den da.« Der Zeigefinger des Sozialarbeiters tippte auf Fielmeister. »Der war in den letzten Tagen doch ständig in den Medien.«
»Und den anderen?«
»Nein, nie gesehen. Was ist mit ihnen?«
Kalkbrenner überging die Frage. »Kennen Sie einen gewissen Gerd Fugmann?«
»Und wer soll das jetzt wieder sein?«
»Sagen wir mal so: Fugmann ist ein sehr guter Freund dieser beiden Herren auf den Fotos. Er hat ein Ladenlokal in Neukölln angemietet, das wir vor einigen Stunden entdeckt haben. Darin hielten sich Kinder auf, augenscheinlich Ausreißer und Herumtreiber. Einen Jungen konnten wir gerade noch vor dem Missbrauch bewahren.«
»Hm.« Wolfsbach zerknüllte zwei verschmutzte Zettel und warf sie in den Papierkorb. »Das wird wohl eine der offenen Wohnungen gewesen sein.«
Kalkbrenner glaubte, sich verhört zu haben. »Sie wussten davon?«
»Nein, nicht von dieser
Wohnung konkret. Aber ich weiß, dass es mehrere solcher Wohnungen in Berlin gibt. Sie werden von Männern angemietet und wie Jugendclubs eingerichtet. Die Kids finden dort Computer vor, Spielkonsolen, Musik, Filme, Telefon, bekommen Essen, Trinken und …«
»Und?«
»Zigaretten, Alkohol, Joints, andere Drogen, alles, was sich die Jungs eben so wünschen.«
»Und als Gegenleistung dürfen sich die Männer an den Kindern vergehen«, sagte Muth.
»Das ist der Deal, ja.« Es klang wie: Draußen schneit es, na und?
»Und obwohl Ihnen das bekannt ist, lassen Sie es einfach so geschehen?«
Wolfsbach lachte freudlos auf. »Nur weil ich davon weiß, heißt das noch lange nicht, dass ich etwas dagegen unternehmen kann.«
»Aber Sie sind doch Sozialarbeiter. Streetworker. Ihnen vertrauen die Kids – das waren Ihre Worte.«
»Nein«, widersprach Wolfsbach. »Das war Ihre
Vermutung.«
»Meinetwegen. Aber lassen Sie uns jetzt mit den Kindern …«
»Nein!«, unterbrach ihn Wolfsbach energisch. »Ich sagte doch schon, sie werden nicht mit Ihnen reden. Die Kids reden nicht mit der Polizei, weil sie von daheim ausgerissen sind, weil sie nicht nach Hause möchten, weil sie geklaut oder Drogen genommen haben und weil sie sich auf der Flucht befinden. Sie werden nicht gegen ihre Freunde aussagen. Unter keinen Umständen.«
»Freunde?«, war alles, was Kalkbrenner über die Lippen brachte.
Der
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