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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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geradewegs auf ihn zu.
    Die beiden Männer umarmen sich, vermeiden es aber, einander in die Augen zu sehen.
    »Hättest ruhig einen etwas gemütlicheren Ort aussuchen können«, sagt Giorgio, läßt sich neben ihn auf die Bank fallen und beginnt sogleich zu erzählen. Er redet ununterbrochen von sich, seiner Frau, den Kindern, dem kleinen Häuschen außerhalb der Stadt ...
    Anscheinend hat er aber doch nicht die heiß ersehnte ganz große Karriere gemacht, obwohl er als Versicherungsangestellter bestimmt nicht schlecht verdient und vielleicht sogar ein paar Leute unter sich hat, die er herumkommandieren kann, denkt Enrico und unterbricht den Redeschwall seines Freundes: »Deprimierend sieht’s hier aus. Triest ohne große Schiffahrtsgesellschaften ...«
    »Bis zum Kriegsausbruch hat es noch einen regelmäßigen Liniendienst nach Jugoslawien gegeben, aber als Passagierhafen hat Triest doch schon lange vorher ausgedient gehabt. Im alten Hafen hat man allerdings gerade mit dem Fährverkehr nach Albanien begonnen.«
    »Albanien ..., ja, warum nicht?« sagt Enrico zu sich selbst.
    »Aber mit der Schiffahrt ist es wirklich nicht mehr weit her. Dafür kannst du heute jede Menge elegante Segeljachten in der Bucht bewundern.«
    »Im Jachthafen war früher auch immer genug Betrieb. Du tust gerade so, als wäre ich ein halbes Jahrhundert lang weg gewesen.«
    Giorgio läßt sich nicht gern unterbrechen, dozierend fährt er fort: »Die Fischereiflotte, für die dein Vater gearbeitet hat, existiert nicht mehr. Die Konkurrenz hat auch nur mehr etwa zwanzig Kutter. Außerdem beklagen sie sich dauernd, daß ihnen die modernen Unternehmen unten im Süden den Fang wegschnappen. Angeblich gibt’s in unseren Küstengewässern nur mehr ein paar lächerliche Ölsardinen.«
    »Weil ihr das Meer total versaut habt.«
    »Blödsinn. Das war doch nur ein Scherz.«
    »Ich habe im Fernsehen einen Bericht über die Algenpest gesehen.«
    »Angstmache der Medien. Es gibt keine Umweltkatastrophe. Wir haben ganz andere Probleme. Zu viele alte Leute, zu viele Flüchtlinge, zu viele Drogensüchtige und Kleinkriminelle.«
    »Zu viele Ex-Sträflinge«, unterbricht ihn Enrico.
    »Du lebst in der Vergangenheit.« Giorgio hält kurz inne, deutet auf die Bucht von Muggia und sagt stolz: »Dort drüben beginnt unsere Zukunft Der Containerhafen ist in den schwarzen Zahlen. Wir verladen Erdöl mit Pipelines nach Österreich und Deutschland.«
    Enrico läßt seinen Blick über das Industriegelände und die dahinterliegenden Wohnviertel, die nur durch die Stadtautobahn voneinander getrennt sind, schweifen.
    »Das ist also die Zukunft Triests? Noch mehr Mineralöl, noch mehr Autoverkehr ...«
    Giorgio überhört den ironischen Unterton. »Ja, wir müssen uns gewaltig anstrengen, um technologisch mithalten zu können. Gleichzeitig wird uns natürlich auch nichts anderes übrigbleiben, als Personal zu reduzieren. Wir schleppen ohnehin genug Schmarotzer mit uns herum. Es wird nicht leicht sein, im internationalen Frachtverkehr auf Dauer eine führende Position zu behalten. Sobald die Häfen in Kroatien wieder sicher sein werden, bekommen wir erneut Probleme. Die haben viel weniger Skrupel als wir, was zum Beispiel die Sozialpolitik betrifft. Ich weiß, wovon ich rede, ich war 84 noch zu jung für die Frühpension, also habe ich mich umschulen lassen. Zwei Jahre lang die Schulbank gedrückt ...« Er scheint den Faden zu verlieren. »Wo bin ich stehengeblieben?«
    Der belustigte Blick seines Freundes bringt ihn noch mehr aus der Fassung. »Sollen sich doch diese Idioten dort drüben gegenseitig die Köpfe einschlagen, uns kann das nur nützen«, fährt er verärgert fort.
    »Kriegsgewinnler«, murmelt Enrico. »Und was passiert, wenn es sich die Slowenen und Kroaten nicht mehr leisten können, bei uns einzukaufen?«
    »Du bist ein unverbesserlicher Pessimist. Schau dir mal die Innenstadt an, du wirst sie nicht wiedererkennen. Dort tummeln sich heute lauter gut angezogene, junge Leute, die das Geld mit beiden Händen ausgeben.«
    »Dekadente Yuppies.«
    »Du bist ungerecht. Oder vielleicht gar neidisch?« Giorgio registriert mit Genugtuung den irritierten Blick seines Freundes, schlägt ihm mit der Hand kräftig auf die Schulter und lacht herzhaft. »Also auch du, mein Lieber! Ja, ja, die Midlife-crisis verschont keinen von uns.«
    Dann erzählt er ihm von dem geplanten Umbau des alten Hafens. »Wir werden alles niederreißen und supermoderne Freizeiteinrichtungen

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