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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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hinstellen, Büros, die alle Stückchen spielen, schicke Wohnungen, teure Lokale und Boutiquen. Das wird der absolute Wahnsinn.«
    »Das glaube ich sofort.«
    Giorgio läßt sich von Enricos Skepsis nicht beeindrucken.
    »Man muß mit der Zeit gehen. Sag bloß, dir ist leid um die Rattenburgen? Sei doch froh, wenn wir dieses Eldorado des Ungeziefers endlich loswerden.«
    »Wehrt sich denn keiner gegen den Abriß unseres alten Hafens?«
    »Einen kleinen Teil der Magazinstraßen wollen sie eh, so quasi als Museum früher Industriearchitektur, stehenlassen. Aber die Renovierung dieser paar alten Schuppen kostet uns allein schon ein Vermögen. Ich weiß das zufällig, weil meine Firma zu den Hauptfinanziers dieses gigantischen Projekts gehört. Ich arbeite jetzt für ›Generali‹«, sagt er stolz und beginnt seinen Freund mit Interna aus seiner Firma zu langweilen. Erst als ihm die Anekdoten auszugehen drohen, fragt er Enrico, wie es ihm in den letzten Jahren ergangen ist.
    »Wie soll es einem im Knast schon gehen? Zwanzig Jahre, ein ganzes Leben fast, zumindest die besten Jahre haben sie mir gestohlen. Ich habe nichts zu erzählen, außer du interessierst dich für Turnübungen im Gefängnishof oder für Faustkämpfe unter der Dusche. Das Essen war miserabel, und zu trinken hat es nichts gegeben. Was soll ich dir erzählen? Meine Träume? Die Vergangenheit ist ein Nebel aus falschen Träumen. Verstehst du nicht? — Macht nichts. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren viel Zeit zum Lesen gehabt.«
    Giorgio entfernt sich ein paar Schritte. »Hast du eine Zigarette für mich? Ich habe mir zwar das Rauchen abgewöhnt, es mußte sein nach meinem ersten Herzinfarkt, aber jetzt brauche ich eine.«
    Sein Freund nickt verständnisvoll, reicht ihm das Zigarettenpäckchen und gibt ihm Feuer.
    »Magst du auch einen Schluck Refosco?« Er zieht die Flasche aus seiner Manteltasche, öffnet sie mit seinem Messer und reicht sie Giorgio.
    »Nein danke, ich trinke nicht mehr. Weißt du, daß Livio gestern gestorben ist? Es ist, als hätte er mit dem Sterben gewartet, bis du rauskommst. Fast hätte er es geschafft«, seufzt Giorgio. »Wir haben oft über dich gesprochen. Er hätte dich so gern noch einmal gesehen. Hat sich die Leber rausgesoffen, der arme Kerl, ist jämmerlich zugrunde gegangen, war gerade erst fünfzig. Immer kerngesund gewesen und plötzlich aus, aus für immer. Hat mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich hab noch einmal Glück gehabt, ein überstandener Herzinfarkt hat mir gereicht. Ich bin sozusagen mit einem blauen Auge davongekommen, aber es hätte genausogut mich erwischen können.«
    »Eigentlich ist ein Stück von uns allen schon damals gestorben.«
    Giorgio schenkt ihm einen irritierten Blick.
    »Für euch hat sich durch Ginas Tod nicht viel geändert, ihr habt sie nicht so geliebt wie ich, ihr habt sie nur benützt, sowie sie euch benützt hat ...«
    »Übermorgen wird Livio beerdigt«, unterbricht ihn Giorgio. »Gehen wir zusammen aufs Begräbnis?«
    »Übermorgen werde ich nicht mehr hier sein.«
    Bevor ihn sein Freund noch fragen kann, wohin er fahren wird, beugt er sich vor, sieht Giorgio fest in die Augen und sagt: »Ich war es nicht, und du weißt es, wußtest es die ganze Zeit, zwanzig unendliche Jahre lang hast du es gewußt.«
    Giorgio will etwas einwenden, doch Enrico läßt sich nicht mehr unterbrechen. »Ich habe sie geliebt wie keine andere Frau zuvor, und ich liebe sie noch immer. Sie war die einzige große Liebe meines Lebens. Und ihr habt das gewußt, ihr alle. Leugne nicht, auch du hast gewußt, was sie mir bedeutet. Ihr makelloser Körper, ihre schweren, vollen Brüste, ihr prächtiger Hintern, ihre vollendeten Schenkel und ihre kräftigen Arme, die sich jede Nacht um meinen Hals geschlungen haben, ihre zarten Hände, die meinen Körper gestreichelt, ihm fast unerträgliche Lust bereitet haben ...« Seine Stimme versagt, doch seine traurigen Augen bleiben tränenlos.
    Nackt, wie Gott mich schuf, gehe ich zum Fenster, öffne auch den zweiten Flügel und lehne mich hinaus. Mein feuchtes Haar bewegt sich sanft im Wind, und meine Haut duftet nach Sandelholz und Jasmin.
    Der Blick aus unserem Fenster ist unbezahlbar. Ich liebe die endlose Weite des Meeres. Bei Schönwetter verliert sich der Horizont in flimmernden Wellen, und das Sonnenlicht verzaubert das Wasser in einen weichen, silbernen Teppich. Und wenn man sich ganz weit hinausbeugt, sieht man sogar das Schloß der unglücklichen

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