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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Meisterwerk. Doch eigentlich geht es mir nicht darum. Egal, was man fotografiert, im Grunde fotografiert man immer dasselbe, das, was man sehen will, und man sieht nur das, was man zu sehen erwartet.«
    »Ich fotografiere am liebsten Menschen, Menschen in besonderen Situationen vor allem. Gewisse Situationen möchte ich eben bewahren, indem ich sie im Bild verdopple.« Er zwinkert ihr anzüglich zu.
    »Sie trauen also weder Ihren Augen noch Ihrem visuellen Gedächtnis? Mir geht’s genauso. Manchmal erscheinen mir die reproduzierten Bilder realer als die Wirklichkeit. Ich konserviere jedoch keine erinnerungswürdigen Ereignisse für mich selbst und den engeren Bekanntenkreis. Diese Art von Fotografie überlasse ich gern den Amateuren. Ich will mit meinen Bildern eine größere Öffentlichkeit erreichen.«
    »Arbeiten Sie für eine Zeitung?«
    »Für mehrere. Aber es gelingt auch mir nur selten, die Stimmung einzufangen, die ich gern in den Betrachtern meiner Bilder wiederbeleben möchte. Wenn ich meine Fotos reproduziert sehe, kommen sie mir oft leer und nichtssagend vor.«
    »Dennoch dokumentieren diese Bilder Ihre Weltoffenheit, Ihre Aufgeschlossenheit für alles Neue und Unbekannte«, sagt er mit schmeichelnder Stimme.
    Sie scheint darauf reinzufallen und beteuert eifrig: »Ja, ich fotografiere vor allem Situationen, die als nicht alltäglich erlebt werden.«
    »Ihr persönliches Interesse am Gegenstand des Bildes spiegelt Ihre Sensibilität wider ...«
    »Tatsächlich gehe ich oft rein intuitiv an eine Sache heran. Ein gutes Bild ist immer das Ergebnis von Kopf und Bauch.«
    »Also sind Sie doch sehr kreativ.«
    Zu spät bemerkt er, daß er eine Spur zu dick aufgetragen hat.
    Sie antwortet ihm in scharfem Ton: »Fotografieren ist mir die liebste Art von Kommunikation, viel lieber als jedes Gespräch.«
    Da ich auf keinen Fall vor Giorgio im Hotel sein will, gehe ich ein Stück zu Fuß. Außerdem habe ich schon lange keinen Schaufensterbummel mehr gemacht. Die Läden in der Innenstadt werden immer exklusiver, aber ich habe nun einmal einen teuren Geschmack. Zum Glück haben die Geschäfte während der Mittagszeit geschlossen.
    An einem so sonnigen Augusttag wie heute erscheint mir die Stadt viel heller als gewöhnlich, wie frisch angestrichen nach langen Jahren der Verwesung. Das Sommergefühl überdeckt die Rostspuren und all die anderen Anzeichen einer sterbenden Stadt.
    Ich schlendere am Canal Grande entlang, suche unser kleines Boot. Wer weiß, ob Michele es nach unserem letzten Ausflug ordentlich festgemacht hat. Unsere ›Domina‹ schwankt jedoch friedlich im brackigen Wasser. Wahrscheinlich hat Enrico die Taue bereits kontrolliert. Wenn diese Trockenperiode nicht bald zu Ende geht, wird das Boot demnächst auf Grund liegen. So wenig Wasser hat der Kanal, soweit ich mich erinnern kann, noch nie gehabt.
    Die prächtigen Fassaden der umliegenden Häuser spiegeln sich im schmutzigen Wasser wider. Der Geruch des Meeres vermischt sich mit dem Duft der Sommerblumen. In der kleinen Parkanlage am Ende des Kanals blüht und sprießt es nur so. Und beim Anblick des bunten Treibens auf der Piazza di Ponterosso bessert sich meine Laune sofort. Im Schatten der serbisch-orthodoxen Kirche des heiligen Spiridon haben sich ein paar Straßenhändler breitgemacht. Eine Weile stöbere ich in den Jeanshaufen herum, bis mir plötzlich bewußt wird, daß ich in nächster Zukunft auf hautenge Jeans verzichten muß.
    Ich bin einigermaßen fromm, habe zumindest für die Madonna viel übrig und besuche sonntags immer den Gottesdienst in der Sant’Antonio Nuovo. Die Pracht der vielen Kuppeln und Säulen und der Glanz der goldenen Mosaike und Ikonen versetzen mich nicht nur in ehrfürchtige Stimmung, sondern flößen mir auch gehörigen Respekt ein. In dieser Kirche möchte ich einmal einem Mann das Jawort geben. Wer der Glückliche sein wird, weiß ich noch nicht, das wird sich erst in den nächsten Stunden oder Tagen entscheiden.
    Heute kann ich jedoch die Madonna nicht gut gebrauchen. Ich verzichte also auf einen kurzen Besuch beim heiligen Antonio und spaziere hinüber zum Hafen.
    In der Bucht verlieren sich ein paar Segler und einige Ruderboote. Die anfeuernden Rufe der Zuschauer und die kurzen Kommandos des Trainers hallen übers Wasser. Auch ich schaue den Ruderern eine Weile zu.
    Jetzt um die Mittagszeit herrscht auf dem Molo Audace Hochbetrieb. Sonnenhungrige Büroangestellte, siestareife Hausfrauen und viele badende Kinder

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