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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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von der Leine lässt. Wir sind uns jetzt näher, ohne das Geringste voneinander zu wissen. Und ich bin die alte Heulsuse, die das Elend so wenig aushält wie das Glück. Vipassana öffnet nicht nur das Hirn, auch das Herz weitet sich.
    Natürlich ist das Schweigegebot zu Zeiten eine Last. Wäre es nicht eine Freude, jeden hier dazu zu verführen, dass er all seine Kopfgeburten während der letzten sechzig Stunden erzählt? Meinen so ähnlich und doch so anders. Sicher finden sie in einem völlig anderen »Dekor« statt, in anderen Ländern, in anderen Landschaften, mit anderen Freunden und Feinden. Doch die Matrix, auf der ihre (und meine) Lebensgeschichten spielen, ist dieselbe. Ich verdächtige keinen, dass er sich die Tortur hier antut, weil er es vor Glück nicht mehr aushält in der Welt. Jeder ist auf der Suche nach etwas, das fehlt. Das er finden will. Und findet er es nicht, dann will er lernen, den Verlust auszuhalten. Mit Hilfe der harten Übungen, denen hier alle unterworfen sind. Nicht der Weg ist das Ziel, welch Eso-Tinnef, sondern das Ziel ist das Ziel: »lebenstüchtiger« zu werden, lebensmutiger, sich endlich einmal auf der Höhe dieses Geschenks – seines Lebens – zu bewegen.
    Die nächsten Stunden vergeht mir das Gerede von Nähe und Seligkeit. Jetzt sitzt der Cold Turkey in der Dhamma Hall . Und der fragt obstinat, ob ein Getriebener je Ruhe findet. Mit einem Körper, der – selbst unbeweglich – noch unter Hochspannung steht. In Poona, bei Bhagwan (alias Osho) gab es frühmorgens eine Dynamische Meditation . Hier durfte man eine knappe Stunde lang schnauben, springen, berserkern, tanzen, den Leib erschöpfen. Eine »Katharsis« – ein kleineres Wort wurde nicht akzeptiert – sollte stattfinden. Ob je einer von uns damals »gereinigt« wurde, man darf es bezweifeln. Aber die Luft war hinterher raus, und mit ihr die Wut und der Frust. Die am späten Vormittag wiederkamen. Die Katharsis war eine Erfindung. Die Psycho-Metastasen kehrten zurück. Wie bei den Dicken die Pfunde nach jeder Diät. Jede Brüll-Therapie – einst hoch gepriesen – hat sich als wenig effizient erwiesen. Ob Urschrei oder Encounter , die Euphorie des Brüllenden verflog kurz danach und der Status quo meldete sich wieder. Ich darf da mitreden, ich habe jahrzehntelang gebrüllt und kein Schmerz wurde je leiser.
    Vipassana hat einen anderen Anspruch, es glaubt nicht an Radikalkuren. Die Meditation soll die Knoten »lösen«, sie weder unterdrücken noch sie zum Explodieren bringen. Erinnert Brüllen an Schwergewichtsboxen, so könnte man Vipassana mit Tai Chi vergleichen. So smart sieht es aus.
    Klar, Vipassana ist auch eine Encounter-Gruppe. Nur begegnet man keinem anderen, nur sich selbst. Und niemand schreit, jedes Treffen wird von einem vollkommenen Schweigen begleitet. Was den Impakt nicht mindert, eher erhöht. Weil man beide Rollen übernimmt, Angreifer und Gegner. Jeder sitzt stumm, Augen geschlossen, Rücken gerade. Und atmet. Und soll nie vergessen, so zumindest die Vorgabe, dass er atmet.
    Wer schon einmal LSD geschluckt hat, weiß, was eine psychedelische Droge im Körper ausrichten kann. Wie blitzhaft sie in »seelen-offenbarende« (wörtlich übersetzt) Zustände schleudert. In die euphorischen, euphorisierenden oder in die horrenden: um den Schlucker in Lichtgeschwindigkeit in den Horror zu jagen. So ähnlich intensiv kann Vipassana Leib und Seele aus der Fassung bringen, hin zum manischen Überschwang oder direkt an den Marterpfahl.
    Als ich mich nach vorne beuge, um meine wimmernden Knie zu entlasten, mich hinknie, um die Spannung in den Sehnen zu mindern, dabei mit der rechten Kniescheibe über den Kopf eines Nagels (woher?) rutsche und ein satanischer Schmerz nach oben durch den Körper rast, blitzt eine Erinnerung aus meiner Kindheit auf. Ein Detail, das ich längst für verschollen hielt. Ich sehe mich als Achtjährigen in einem lichtlosen Keller knien, auf dem spitzen Rand eines Holzscheits, das auf dem verrußten Boden lag. Hier musste ich – so der Name der Strafaktion – »Holzscheitelknien«. Stunden im Dunkeln. Der Bestrafer wusste natürlich, dass ich Angst hatte. Das beruhigte ihn, gab ihm die Genugtuung, dass die Strafe noch nachhaltiger wirken würde. Furcht und Schmerz, das sollte reichen, um mich zu »bessern«. Anscheinend nicht, denn die nächsten Jahre wurde ich immer wieder nach unten geschickt. Die kleine Absurdität bestand darin, dass ich auch derjenige war, der die Holzscheite

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