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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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nichts davon gehört, dass inzwischen alle Ideologien und Religionen abgewirtschaftet haben. Zerbrochen an ihrer großen Klappe, die alles versprach und nichts einlöste, ja, die Mord-und Totschlagrate nur noch erhöhte. Eben das Geleier vom irdischen oder himmlischen Paradies an der Wirklichkeit zerschellte, am tatsächlichen Leben.
    Doch hier im Fernen Osten sind ihnen die strahlenden Begriffe noch nicht ausgegangen. Hier versprechen sie noch Erleuchtung, die uferlose Menschenliebe, ja, den komplett runderneuerten Menschen. Wirbt ein Heidelberger Bordell mit »All you can fuck«, so machen sie hier Werbung mit »All you can dream of«. Um konkret zu bleiben: Goenka rechnet noch mit allem Guten und Schönen, das er uns vermitteln kann, seine Erwartungen an unsere (innere) Wandlungsfähigkeit scheinen ungeheuer. Meister sollen aus uns werden. Im Westen priese man unsere zehn Tage mit »Stressfrei durch den Alltag« an. Würde ein Veranstalter »Komplette Buddhaschaft« aufs Plakat schreiben, die Leute gingen kopfschüttelnd weiter.
    Ich meditiere noch in der Zelle. Aber die »soft version«, den Rücken an die Wand gelehnt. Ok, ich meditiere nicht, ich kontempliere wieder. Ich will das Glück auskosten. Es gibt eine freudige Unruhe, die genausowenig zum Schlafen einlädt wie Freudlosigkeit. Und ich habe Grund zur Heiterkeit. Weil der Tag voller Erfahrungen war, weil ich bei Goenka noch immer keine Winkelzüge entdeckt habe, noch immer überzeugt bin, dass ihn nichts anderes anstiftet als Wärme für seine Mitmenschen. All unsere Mühe hier wäre umsonst, wenn nur ein Schatten von Verdacht auf ihn fiele. Von Korruption, von Raffen, von bösartiger Indoktrination. Wie ich mich nach Leuten sehne, die keinen Lockruf ausstoßen, um abzuzocken. Bei Goenka kann man nichts shoppen. Er verkauft nichts und ist – unverkäuflich.
    Zuletzt liege ich im Dunkeln, noch immer euphorisch. Denn mir fällt die Mail eines Lesers ein, die ich vor ein paar Wochen bekam. Er berichtete darin von dem Ergebnis einer Umfrage in mehreren europäischen Ländern. Eine deutliche Mehrheit gab zu, dass sie lieber im Mittelalter gelebt hätte. Trotz Raubrittertums, Pest und Glaubensterror. Weil – so der Grund – die Befragten vermuteten, dass sie damals ein intensiveres Dasein geführt hätten, eines mit mehr Dramatik, Gefühlen und Hochspannung.
    Ich will nicht ins Mittelalter zurück, Herr bewahre. (Obwohl die Zelle und ihre Einrichtung irgendwann um diese Zeit entstanden sein müssen.) Das Wort »modern« klingt noch immer viel versprechend. Aber Vipassana – nochmals 1500 Jahre älter – wäre nicht das schlechteste Rezept, um dem Seichtgebiet gehypter Banalität souverän auszuweichen.

NEUNTER TAG
    Als ich kurz nach halb drei aufwache, rettet mich der Gedanke, dass ich nur noch zwei Tage durchstehen muss. Zwei, nicht mehr. Ich will die Bemühungen zur Förderung meines Charakters nicht übertreiben. Wie gewalkt liege ich darnieder. Und bin zu schwach, um mir den einen Traum zu verbieten. Seit dreißig Jahren ist er immer derselbe: Ich wache nach einem Zehn-Stunden-Schönheitsschlaf in einem Zehn-Sterne-Hotel auf, ein Zimmermädchen zieht behutsam den Vorhang zurück, Vögel zwitschern, eine Sänfte kommt und zwei (stumme) Männer tragen mich zu einer Playboy-Wanne, in der ich mein erstes Moorbad nehme, nebenbei mein erstes Frühstück genieße. Der Traum ist ewig lang, drei Jahrzehnte hatte ich Zeit, ihn auszuschmücken. Immer wieder kommt es zu Änderungen, sicher ist, dass er abends mit dem Besuch der Dorfschönsten in meinem Baldachin-Bett endet.
    Trotz der Einsicht, dass es sich um einen ziemlich abgeschmackten Machotraum handelt, erliege ich ihm immer wieder. Er wird erst aufhören, wenn ich die Stoppuhr zur Seite lege und ihn mir genehmige. Daran werden auch Vipassana und der feste Wille, endlich erwachsen zu werden, nichts ändern. Selbst Masochisten haben ein Recht auf drei Wochen Nichtstun ohne Gewissensbisse.
    Goenka erwähnte einmal, dass Schlaflosigkeit ein bewährtes Mittel sei, um zu meditieren. Im Liegen. Nicht sich wälzen und sein Leben verfluchen soll einer, sondern sacht und konzentriert den Atem beobachten. Ich praktiziere das, seit ich davon weiß. Funktioniert es (manchmal nicht, dann muss ein Buch her), so vernehme ich weniger frustriert die Glocke, bin zwei, drei Grade weniger tot. Heute gelingt es ausgezeichnet. Als es um vier Uhr bimmelt, stehe ich drei Sekunden später kerzengerade neben dem Bett. Letzter

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