Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Auftrieb kam genau von jenem Gedanken, der seit ebenfalls dreißig Jahren meinen Traum in Schach hält: Lebe! Faulen und modern kannst du hinterher, hundert Ewigkeiten lang!
Das Training läuft, manchmal schaffe ich fünf Durchgänge, in denen ich bis zehn zähle, ohne abzuschweifen. Ich mache die schöne banale Erfahrung, dass Vipassana üben nicht anders funktioniert als Ballett tanzen oder japanische Kalligraphie pinseln lernen oder als Trapezkünstler proben: wiederholen, wiederholen, wiederholen. Bis der Vorsatz ins Unbewusste rutscht und Teil der Person wird. Bis Hände und Füße und der Atem das tun, was sie sich zehntausend Mal weigerten zu tun. Und endlich tun. Konkret bei Vipassana: dass ich immer aufmerksam genug bin, um zu bemerken, wenn ich nicht aufmerksam bin. Noch konkreter: Egal, was ich tue, es soll immer das Wichtigste sein. In diesem Augenblick. Ja, wäre das nicht ein unglaubliches Zeichen von Respekt, wenn ich in den Momenten, in denen zwei miteinander zu tun haben – sei der andere ein Schaffner, der Hausarzt, die Putzfrau, der Briefträger, eine Geliebte – wenn ich also in diesen Augenblicken ganz »da« bin? Ihm – dem Fremden oder dem Freund – somit das Kostbarste schenke, was ich je hatte und je haben werde: meine Lebenszeit?
Ich muss nur einen ruhigen Blick auf mich werfen, die Myriaden von Situationen Revue passieren lassen, in denen ich nur als halbe Portion vorhanden war, schlampig zuhörte, schlampig antwortete, mit den Gedanken an einem Ende der Welt unterwegs, mit den Gefühlen am anderen, mich überall befand, nur nicht hier, nur nicht vor Ort.
War eine solche Situation zu Ende, überkam mich regelmäßig der Eindruck, uns beide betrogen zu haben, ja uns drei: den anderen, mich, das Leben. Was mich rettete, zumindest verhinderte, dass ich mich als Blamierter verabschiedete, war die Tatsache, dass der Mensch, mit dem ich fünf Minuten oder fünfzig oder eine Nacht geteilt hatte, ähnlich unbewusst und zerstreut durch die Welt ging. Seiner »Bewusstlosigkeit« war es zu verdanken, dass ihm meine entging. Nun, dieses Schuldgefühl, mich und andere zu hintergehen, war einer der Gründe, warum ich zu meditieren anfing. Als Konsequenz des lang schwelenden Wunsches, mein Leben zu intensivieren.
Dieses Bedürfnis, wenn es denn auftauchen sollte, muss sich jeder allein erfüllen. Von der Gesellschaft ist mit keinerlei Hilfestellung zu rechnen. Sie hat alle Hände voll zu tun, das Niveau der Seichtheit, nein, spaßigen Seichtheit, zu halten. Womöglich zu heben. Sie will den Hype, das Gegenteil von Intensität. Sie will unsere Birnen in der Lauge permanenter Infantilisierung einweichen. Sie will, andersherum formuliert, auf jeden Fall verhindern, dass wir anhalten und uns fragen, ob das ein gutes Leben ist, das wir führen, oder ein Scheißleben. Sie will den Status quo, den mündigen Shopper, den gewieften Zeittotschlager.
Stopp, das ist immer noch ungenau formuliert. In einer angesehenen deutschen Zeitung wurde eine ganze Seite gräulichschauriger Statistiken zum Thema »Horror Rauchen« veröffentlicht. Doch der hier als Gesundheits-Ayatollah tätige Redakteur wusste Abhilfe, er schrieb: »Aber auch positive Anreize erleichtern den Schritt zum Abgewöhnen: etwa wenn man einem Raucher, der täglich eine Packung Zigaretten kauft, vorrechnet, dass er sich von dem gesparten Geld nach einem halben Jahr einen Fernseher kaufen kann.« Es muss also heißen: Die Gesellschaft will den mündigen, gesunden Shopper, den gewieften, gesunden Zeittotschlager. Fit und bescheuert, so wollen sie uns. Ein kranker Bescheuerter schadet dem Inlandssozialprodukt.
Ich erinnere mich an eine Autowerbung in den französischen Kinos (positive Anreize, den Leuten das Autofahren abzugewöhnen, gibt es nicht). Ein Mann fährt in seinem unübersehbar neuen Wagen durch die Landschaft, biegt irgendwann links ab auf einen Strand, hält und steigt aus. Schnitt auf eine hübsche Frau am Meer, unübersehbar die hübsche Ehefrau, daneben das hübsche Kind. Die Frau sieht den Mann, strahlt, rennt mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, rennt an ihm vorbei und – umarmt das Auto. (Wäre es wenigstens der Porsche 550 Spyder von James Dean gewesen; natürlich nicht, nur irgendeine dieser gräulich gesichtslosen Mittelklasse-Kisten stand da.) Man muss der Werbeagentur gratulieren, sie hat den Zeitgeist durchaus mit Witz getroffen. Blech sollen wir umarmen, dabei strahlen und womöglich »geil, geil!« stammeln.
Die
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