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Trigger - Dorn, W: Trigger

Titel: Trigger - Dorn, W: Trigger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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das negativ auswirken. Man könnte denken, ich hätte durch meine Fürsorgepflicht nicht genügend Kapazitäten, das Amt zu bekleiden. Na ja, und ich hätte auch kein gutes Gefühl dabei, Annemarie die ganze Arbeit mit ihm zuzumuten.«
    Harald hatte sofort gewusst, dass Karl mit nun ja, du weißt schon in Wahrheit Matschbirne, Schwachkopf oder Dorftrottel meinte. So nannten ihn manchmal auch die Kinder im Ort.
    Wieder einmal hatte er deutlich aus Karls Worten herausgehört, dass er sich seiner schämte – auch wenn ihm
nicht ganz klar gewesen war, was Karl mit zu sich nehmen meinte.
    Sollte er etwa zu Karl ziehen? Das wäre – abgesehen von seinem Bruder selbst – eine ganz nette Vorstellung, immerhin mochte er Annemarie und Lara sehr. Sie waren eine richtige Familie. Wenn er bei ihnen wohnen würde, wäre er ein Teil dieser Familie. Gut, das war er schon jetzt, aber dann wäre es noch ein wenig anders.
    Andererseits, so war ihm eingefallen, wäre er dann ja weg von seiner Mutter.
    Ich kann die Mama doch nicht im Stich lassen, hatte er gedacht. Die braucht mich doch.
    »Ich verstehe dich ja«, hatte die Mutter gesagt und sich dabei irgendwie erschöpft angehört. In letzter Zeit wirkte sie immer so müde und erschöpft, als habe sie den ganzen Tag lang Löcher in schwere Metallplatten bohren müssen. »Aber ich werde ihm einfach nicht mehr Herr. Ich bin zu alt dafür. Mir wächst das alles über den Kopf. Hätten dein Vater und ich doch nur besser aufgepasst. Aber wer konnte schon ahnen, dass ich noch mit fünfundvierzig Jahren …« Sie hatte geseufzt und dann hinzugefügt: »Wenn du ihn nicht zu dir nimmst, werde ich ihn ganz in das Heim geben müssen.«
    Ganz in das Heim? O nein, bitte nicht!, hatte Harald gedacht, aber er hatte sich nicht getraut, das laut zu sagen. Die großen Leute mochten es nicht, wenn man sie belauschte. Dann sperrten sie einen ins Zimmer, und wenn man aufs Klo musste, musste man gegen die Tür klopfen und hoffen, dass es nicht in die Hose ging, bis Mama es die Treppe hoch geschafft hatte.
    »Es muss ja nicht dieses Heim sein, wenn er sich dort
nicht wohlfühlt«, hatte Karl gemeint. »Ich habe ganz gute Kontakte zu einem Heimleiter in Hamburg. Das Wohnheim hat einen exzellenten Ruf. Ich kann auch die Kosten übernehmen.«
    Harald hatte nicht auf die Antwort seiner Mutter gewartet. Er mochte vielleicht dümmer als andere Leute sein, aber er hatte sich dennoch sehr gut vorstellen können, wie ihre Antwort ausfallen würde. Nicht nur das – er hatte gewusst, was sie antworten würde.
    Also hatte er sein Comic fallen gelassen und war fortgelaufen. Den ganzen Weg in den Wald hinein hatte er geweint und voller Verzweiflung gedacht, wie schlimm die Welt doch war.
    Mama und Karl wollten ihn nach Hamburg schicken. Ausgerechnet Hamburg! Das war doch ganz weit weg von hier. Da gab es zwar ein Meer und viele Fische, aber keinen Wald, in dem man spielen konnte; keine Bäume, die einem zuhörten, wenn man Sorgen hatte; keine Mama, die leckere Sachen kochte, wenn man am Wochenende zu ihr heimkam. In Hamburg gab es niemanden, der ihn liebhatte und den auch er liebhatte.
    Und jemand, den man liebhaben konnte, war genau das, was er jetzt brauchte. So stand Harald für eine Weile an seinem Lieblingsplatz nahe der Lichtung mit den moosbewachsenen Baumstümpfen, die ein wenig wie die grünen Sessel im Wohnzimmer seiner verstorbenen Großmutter aussahen.
    Weinend hielt er seinen Lieblingsbaum umklammert, eine bauchige Tanne, deren missgebildeter Stamm ihn irgendwie an die rundliche Form seiner Mama erinnerte und die ebenso wie er anders als die anderen war. Er roch ihr
Harz, spürte ihre Rinde und fühlte, wie die Gegenwart des Baums ihn allmählich besänftigte.
    Pschhhht, musst nicht traurig sein, schienen ihre Nadeln zu flüstern. Nichts ist so schlimm, wie es sich zunächst anhört. Pschhhht. Alles wird gut. Pschhhht.
    Und Harald wurde immer ruhiger, entspannte sich, lauschte der Stille. Bis er plötzlich ein weit entferntes Lachen hörte.
     
    »Also gut«, sagte Nicole, noch immer keuchend vom Fangenspielen – das sie natürlich gewonnen hatte -, und ließ sich auf einem Stein nieder. »Hier ist es.«
    Ebenfalls schnaufend und ziemlich verschwitzt setzte sich Lara ihrer Freundin gegenüber auf einen Baumstumpf und sah sich staunend um.
    Lara trug ihr Sommerkleid aus einem türkisen Stoff, der sich wie Samt anfühlte, aber viel dünner war. Das Moos kitzelte an ihren nackten Schenkeln. Sie mochte

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