Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
Haut ein blutiger Taubenflügel genäht war.
Goldmanns Gedanken schweiften ab, glitten zurück in die Vergangenheit, als er mit zerschmettertem Bein auf der Geröllhalde gelegen hatte, mitten im Sherpaland. Auf den verwitterten Steinen rings um ihn hockten die Vögel und warteten. Warteten nur darauf, dass er einschlafen würde, warteten nur darauf, ihn dann mit ihren spitzen Schnäbeln zu zerreißen.
„Auch hier wird die Haut zerrissen“, sagte er laut und schloss die beiden Fotodateien.
Hastig hinkte er nach draußen, nickte seiner Sekretärin finster zu und holte sich die notwendigen Patientenunterlagen für seine Visite. Unterwegs begegnete er einer philippinischen Schwester, die ihn an eine Madonna erinnerte und die er später für ein Experiment mit Gregor Pestalozzi einsetzen würde. Doch jetzt war es noch nicht so weit und deshalb lächelte er sie nur abwesend an, denn als Nächstes musste er sich um Chefinspektor Braun kümmern.
*
Tony Brauns Büro war bis auf den Schreibtisch und seinen Laptop leergeräumt, der Biervorrat, den er in einem Regal deponiert hatte, war jetzt in einer Kiste verpackt und wartete bereits auf den Abtransport. Braun war es schleierhaft, wie ein geregeltes Arbeiten in der schwarzen Halle drunten am Hafen möglich sein würde. Aus dem grauschwarzen Nebel, der die Stadt schon seit Wochen zu Boden drückte, begann es jetzt leicht und ungemütlich zu nieseln, dünne Regenspuren glitzerten auf den Fenstern und hinterließen feine Schlieren im Dreck.
Das Telefon klingelte und Goldmann, der Psychiater, hielt sich nicht lange mit einer Begrüßung auf, sondern kam direkt zur Sache.
„Ein spannender Fall ist da auf Ihrem Schreibtisch gelandet, Braun!“ Goldmann war in seinem Element und ließ Braun nicht mehr zu Wort kommen.
„Der Mann, von dem Sie diese Bilder haben, sieht diese Mädchen als dämonische Verführer, die er in Engel verwandeln muss. Das zeigt sich bereits in der altbabylonischen Fassung des Gilgamesch-Epos, das die Gestalt der Prostituierten Samhat enthält. Ich würde also sagen, diese Mädchen auf den Bildern sind Prostituierte und der Mann, der die Bilder schickt, wahrscheinlich ein Kunde, der sich für sexuelle Abartigkeiten schämt. Langweile ich Sie, Braun?“
„Nein, klingt hochinteressant! Reden Sie nur weiter“, sagte Braun und schrieb währenddessen die Worte „Prostituierte“, „perverser Freier“ und ein Fragezeichen auf seine Schreibtischunterlage.
„Es könnte natürlich auch ganz anders sein: Denn es gibt auch noch die bis in archaische Zeiten zurückreichende Mahrtenehe. Dabei wird eine Ehe zwischen einem Mann und einem Elementarwesen unter Bedingungen geschlossen, die für einen gewöhnlich Sterblichen einfach nicht erfüllbar sind. Können Sie mir folgen, Braun?“
„Ich bin ganz gebannt von Ihren Ausführungen, Goldmann“, sagte Braun und meinte es tatsächlich ohne einen Funken Zynismus.
„Was schließen wir daraus? Der Mann kann das überirdische Gebot nicht erfüllen, das angebetete Geschöpf kehrt zu ihrem ursprünglichen Wesen zurück und der Mann wird verrückt.“ Goldmann machte eine wohldosierte Pause.
„Jetzt kommen wir zum Kern meiner Ausführung: Bei diesen Elementarwesen handelt es sich um Geschöpfe wie Wasserfrauen, Nixen, Feen und – Vogelmädchen.“
Goldmann kicherte in sich hinein und Braun war sich nicht sicher, ob der Psychiater nicht selbst komplett verrückt war.
„Braun, unser Mann sieht in den Vogelmädchen kleine Engel. Der Taubenflügel auf dem zweiten Bild bestätigt diese Theorie, würde ich sagen.“
Braun steckte sich den Kugelschreiber hinter das Ohr und versuchte Goldmann die Gedanken zu vermitteln, die ihm
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