Trinity (German Edition)
grauhaarige Kriegsminister Henry Stimson. Stimsons Haut wirkte fahl, und sein dünner Schnurrbart ließ seine Adlernase nur noch schärfer hervortreten. Stimson hatte seinen Spazierstock über seine knochigen Knie gelegt und saß mit einem Ausdruck des Unbehagens da. Unmittelbar hinter Elizabeth saß der Kongressabgeordnete aus Michigan, Albert Engel, und bemühte sich nervös um eine Art Small Talk mit seinen beiden Reisegefährten. Der rotgesichtige Abgeordnete mit dem schütteren Haar machte den Eindruck, als wisse er, dass er sich mit seiner Kritik am Manhattan-Projekt etwas zu weit vorgewagt hatte.
General Groves bemühte sich gerade darum, die physikalischen Grundlagen der Isotopentrennung zu erklären. Elizabeth hörte mit einem amüsierten Lächeln zu, wie er den Vorgang bis ins Lächerliche simplifizierte. Aber weder Stimson noch Engel schienen die Erklärung zu begreifen oder sich ernsthaft dafür zu interessieren. Als Groves den Atomkern beschrieb und Wasserstoff und Helium verglich, ging Stimsons Kopf in die Höhe, und er fiel ihm ins Wort. »Helium? Das Wort kommt doch von Helios, dem griechischen Sonnengott, nicht wahr?«
Groves geriet einen Augenblick ins Stocken und bejahte die Frage dann, obwohl ihm offenbar nicht eingehen wollte, was die Bemerkung eigentlich bedeuten sollte. »Ja, ich glaube, Helium hat man zuerst in der Sonne entdeckt.«
Stimsons schmale Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und er nickte, als ob er mit sich zufrieden wäre. Allem Anschein nach hatte er sonst kein Wort verstanden. Aber dann wurde Elizabeth bewusst, dass Stimson es wahrscheinlich auch gar nicht zu verstehen brauchte. Er hatte Groves die Verantwortung übertragen, das ganze Projekt aufzubauen, und vertraute dem Mann seiner Wahl.
Unterdessen gab der Fahrer sich Mühe, Elizabeth mit Bemerkungen über das Wetter oder sein örtliches Baseballteam ins Gespräch zu ziehen. Die Worte kamen in seinem gedehnten Südstaatenakzent so langsam heraus, dass Elizabeth gute Lust gehabt hätte, ihn an den Wangen zu packen und den Rest des Satzes herauszuschütteln, sobald er einmal damit angefangen hatte.
Aber sie sah stattdessen zur Windschutzscheibe hinaus, die über und über mit Insektenleichen verklebt war. In den Fichten, Eichen und Pappeln konnte man Schmetterlinge sehen – die leichte Brise trug die zarten Wattebällchen von Samen durch die Luft. Der Fahrer hatte sie auf die Hartriegelbüsche hingewiesen, die im Frühling in rosa und weißer Blütenpracht erblühen würden. Im Westen war die nebelverhangene bläuliche Silhouette der Cumberlandberge zu sehen, im Osten die Great Smoky Mountains. Unter der Straße schlängelte sich der Clinch River am Ansatz der Bergkette entlang.
Black Oak Ridge war neunzehn Meilen von Knoxville entfernt und von Groves persönlich wegen seiner abgelegenen Lage, des angenehmen Klimas und der dank der Dammbauten der Tennessee Valley Authority reichlichen Versorgung mit Wasser und Elektrizität als erstes größeres Gelände für das Atomprogramm ausgewählt worden. In der Gegend lebten nur wenig Einheimische, das Gelände war aber bequem per Bahn und Straße erreichbar. Das gewaltige Bauprojekt hatte der ländlichen Bevölkerung ein erfreuliches Wirtschaftswachstum eingebracht.
Als der Fahrer die Hügelkette hinter sich gebracht hatte und jetzt durch das weitläufige Gelände fuhr, beugte der Kongressabgeordnete sich vor und sagte in die herrschende Stille hinein: »Du großer Gott!« Seine Worte hallten laut in Elizabeths Ohren.
Stimson lachte glucksend und schlug mit seinem Stock auf die Sitzlehne vor ihm. »So, jetzt sehen Sie, wofür all das Geld ausgegeben worden ist, wie, Albert?«
Dann war Groves selbstgefällige Stimme zu hören. »Dies hier ist nur die Anlage K-25, eine von mehreren größeren Einrichtungen, die wir hier haben. Der ganze Komplex umfasst über 200 000 Hektar.«
»Aber das ist ja … gewaltig!«, staunte Engel.
Auch Elizabeth war von dem Anblick beeindruckt. Das Gebäude vor ihnen war U-förmig gebaut und etwa achthundert Meter lang und hundertzwanzig Meter breit. Es wirkte genauso hässlich wie die Gebäude in Hanford, düster und grau wie eine Festung und nur im obersten Stockwerk mit winzigen Fenstern versehen.
Groves lächelte. »Wir nehmen an, dass es das größte freistehende Gebäude in der ganzen Welt ist. Wollen wir aussteigen? Dann bekommen Sie einen besseren Eindruck von der Größe.«
Groves öffnete sich selbst die Wagentür und stieg
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