Trinity (German Edition)
stemmte ihre Taschen auf den Rücksitz, ehe der Fahrer aussteigen und ihr helfen konnte. Sie stieg vorn zu ihm ein.
»Wo wollen Sie hin?«
Sie schob sich das Haar aus der Stirn. »Frauenwohnheim – Second Street.«
Der Fahrer hieb den Gang hinein und brauste los, ehe sie Danke sagen konnte. Er trug die übliche Khakiuniform mit Krawatte und Überseemütze. Er war allerhöchstens neunzehn Jahre alt, und da Elizabeth keinerlei Orden oder Abzeichen an seiner Brusttasche sah, vermutete sie, dass er zum Schreibstubenpersonal gehörte und dem Projekt zugewiesen war. Als sie um eine Ecke schossen, musste sie sich an der Seitenwand des Jeeps festhalten, bis der Fahrer dann unmittelbar vor dem Wohnheim bremste.
»Da wären wir, Ma'am.« Die Augen des jungen Soldaten funkelten erregt, als wäre er in irgendein aufregendes Geheimnis eingeweiht. Er half ihr, die Taschen die Treppe hinaufzutragen.
Elizabeth streckte ihm die Hand hin. »Vielen Dank. Fahren Sie auch nach Trinity zum Test?«
»Ich?« Der junge Mann riss verblüfft die Augen auf. »Nein, Ma'am. Die brauchen mich dort nicht. Aber wissen Sie, wenn der Test erfolgreich verläuft, haben wir den Krieg praktisch gewonnen! Jeder weiß das.«
»Und wenn er nicht erfolgreich verläuft?«
»Häh?«
»Der Test. Was ist, wenn er scheitert?«
Der junge Mann wirkte schockiert. »Das kann er nicht. Ich meine, all diese schlauen Professoren, die jetzt jahrelang daran arbeiten – der Test kann doch unmöglich scheitern!«
»Wissen Sie denn eigentlich, was da passieren soll?«
Der G.I. schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. »Tut mir leid, Ma'am. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Als er dann mit einem Satz in seinen Jeep sprang, hellten sich seine Züge wieder auf. »Keine Sorge, die Jungs wissen schon, was da läuft. Schließlich würde unsere Regierung doch nicht all das Geld und die vielen Leute umsonst einsetzen, oder?« Er winkte Elizabeth zu und ließ sie in einer Staubwolke stehen.
Die Regierung würde bestimmt nichts vergeuden. Junge, du musst auch noch eine Menge lernen. Aber sie konnte es einem optimistischen jungen Mann nicht verübeln, dass er an seine Regierung glaubte, ganz besonders nicht während des verheerendsten Krieges der ganzen Geschichte. Das hier war in keiner Weise mit dem zu vergleichen, woran sie sich von Vietnam erinnerte – für diese Leute hier ging es buchstäblich um Leben und Tod.
Und für sie auch.
Und es war nicht nur der junge Mann. Alle hier empfanden so. Die Sekretärinnen, die Wissenschaftler, und, was das Schlimmste war, die Militärs. Sie alle glaubten an diese Physikzauberkünstler, die ihnen eine Atombombe versprachen, die möglicherweise Europa zerstören konnte. Der große Zauber, der ihre Probleme lösen und dem Krieg für immer ein Ende machen würde, weil Amerika im Besitz einer Atomwaffe in der ganzen Welt Frieden erzwingen konnte. Alles hing vom Erfolg dieses Tests heute in zwei Wochen ab.
Sie staunte über sich selbst, dass sie solche Gedanken hatte, die ersten Zweifel und die erste zynische Anwandlungen seit … ja, seit wann eigentlich? Seit sie es nicht fertiggebracht hatte, das Attentat auf Oppenheimer zu Ende führen? Was wäre geschehen, wenn sie die Tat mit Erfolg verübt hätte? Die Zeit hätte sich auf irgendeine andere unvorhersehbare Weise verändert. Sie verfügte nicht mehr über die zeitliche Perspektive, um feststellen zu können, ob sich etwas zum Besseren hin verändert hatte. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wie die Dinge eigentlich hätten sein sollen.
Ihre frühere Realität schien weiter und weiter von ihr entfernt. Sie wusste, sie würde nie in die Welt zurückkehren, die sie einmal gekannt hatte. Sie musste hier und jetzt leben.
Warum also nicht einfach nachgeben, den nächsten Schritt tun und sich vom Fluss der Zeit tragen lassen? Ihre früheren Versuche, die Dinge zu ändern, hatten ja nur die Geschichte in Unordnung gebracht. Würde sie vielleicht noch mehr Schaden anrichten, wenn sie erneut versuchte, die Dinge zu ändern? New York war bombardiert worden, Teller ums Leben gekommen, Dewey hatte die Wahlen gewonnen … was konnte sie denn noch zu ändern hoffen, was würde sie verändern?
Elizabeth drehte sich um und blickte auf den Lagerkomplex herab. Sie war so lange weggewesen. Von ihrem augenblicklichen Standort auf der Treppe zum Frauenwohnheim war der Technikbereich nicht zu sehen, nur das Dach des Verwaltungsgebäudes war zu erkennen. Zu ihrer Rechten
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