Trinity (German Edition)
darauffolgenden Tagen die Kernphysiker selbst in geheimen Diskussionen zusammenzubringen.
Göring hatte Esaus Einladung schroff abgelehnt, ebenso wie die meisten anderen Parteigrößen auch. Erst viel später war Esau klargeworden, dass daran seine Sekretärin schuld war, weil sie nämlich die falschen Zeitpläne verschickt und die Vertreter von Regierung und Militär zu den technischen Sitzungen eingeladen hatte, ohne dabei auf den allgemeinen Überblick hinzuweisen. Kein Wunder, dass nur so wenig wichtige Leute erschienen waren.
Trotzdem war der Saal überfüllt. Die Physiker irrten ziellos herum und fühlten sich unter so vielen Menschen sichtlich unwohl. Ein paar Männer in Uniformen saßen an einem langen Tisch dicht an der Wand.
Esau ignorierte die Physiker und kümmerte sich hauptsächlich darum, dass die staatlichen Würdenträger sich wohlfühlten, dass für sie genügend Kaffee da war und dass man sich ihrer sofort annahm, wenn sie Fragen hatten. Vielleicht würde Esau, auch wenn ihre Vorgesetzten sich nicht herbemüht hatten, wenigstens ihnen klarmachen können, was für einen wichtigen Beitrag seine Abteilung für das Kriegsgeschehen leistete, und was es mit dieser geheimnisvollen Kernphysik wirklich auf sich hatte. Aber wie sollte er Leuten, die nicht einmal wussten, was ein Atom war, die Atomspaltung erklären?
»Meine Herren«, sagte Esau. Er machte eine Pause, wartete, dass im Saal Stille eintrat und sich alle ihm zuwandten. Verlegen zog er sich die Krawatte zurecht. Die Physiker, die in Straßenkleidung statt in Uniform gekommen waren, interessierten sich nicht sehr für das, was Esau sagen würde. Schließlich wussten sie bereits mehr über das Thema als er selbst. Sollten sie ruhig, dachte Esau – wenn er sie nicht unterstützte, würden sie mit ihren Forschungsarbeiten nicht weiterkommen.
»Meine Herren«, sagte er zum zweiten Mal und wandte sich dabei besonders an den ranghöchsten Offizier im Saal, Luftmarschall Erhard Milch von der Luftwaffe. »Sie sind natürlich mit Präsentationen modernster Sprengstoffe und neuester Artilleriemodelle vertraut – aber ich garantiere Ihnen, dass Sie vor dem heutigen Tag noch nie gehört haben, wie die deutsche Naturwissenschaft völlig neue Vernichtungskräfte entfesseln kann, Kräfte, die so grenzenlos wie das Universum selbst sind. Es handelt sich um eine Energie, die aus dem fundamentalsten Partikel aller Materie entspringt – dem Zentrum des Atoms selbst.«
Esau hob die geballte Faust. »Im Jahre 1938 hat unser hochgeschätzter Kollege Otto Hahn entdeckt, wie man den Kern des Uranatoms spalten und die darin enthaltene Energie freisetzen kann.« Er hob die andere Faust und hielt sie neben die erste dicht vor sich und riss die Fäuste dann ruckartig auseinander. »Das legt die Möglichkeit einer Superbombe nahe, einer Waffe, die auf Atomenergie basiert.
Als ich das erfahren hatte, habe ich selbst alle Uranreserven Deutschlands einsammeln lassen, weil der Urankern der einzige ist, der dieses Spaltungsphänomen zulässt. Aber leider ist das nicht so einfach, weil sich nur eine ganz bestimmte Art von Uran dafür eignet. Diese Art Uran, ein Isotop mit einem Atomgewicht von 235 statt dem wesentlich verbreiteteren 238, ist außergewöhnlich selten. Von jeweils tausend Gramm reinen Urans sind nur sieben von diesem Typ, und selbst dann ist das Uran 235 völlig mit dem Rest durchmengt. Wir sind dabei, Techniken zu entwickeln, um es herauszulösen.«
Esau war im Begriff, das Interesse seiner Zuhörer zu verlieren. Er sah, wie ihre Blicke finster und skeptisch wurden; das war nicht das, was sie hören wollten. Er wollte nicht über die vielen Misserfolge sprechen, sondern die möglichen Ergebnisse hervorheben.
»Aber um Sie nicht zu entmutigen, darf ich darauf hinweisen, dass eine einzige mit Uran 235 hergestellte Bombe wirksamer wäre als tausend der besten Bomben, die uns heute zur Verfügung stehen. Der erfolgreiche Abschluss dieses Projekts wird die Schwierigkeiten mehr als ausgleichen. Und deshalb sind wir der Ansicht, dass das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition und das Erziehungsministerium der Kernforschung höchste Priorität zuweisen sollte. Wir können diesen Krieg gewinnen, sobald wir das Problem gelöst haben, dieses spezielle Uranisotop zu separieren.«
»Und was ist daran so schwierig?«, fragte Luftmarschall Milch. Er blieb sitzen. Ihm war wohl bewusst, dass er der ranghöchste Mann im Saal war. Zahlreiche Orden und Ehrenzeichen
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