Trinity (German Edition)
bin in meinem Büro.«
Die Leitung der Kaiser-Wilhelm-Gruppe lag praktisch bei Dr. Otto Hahn, dem Entdecker der Kernspaltung. Esau förderte diesen Eindruck, weil er für Hahn großen Respekt empfand. Und Hahn schien mehr an seiner Physik interessiert als daran, in irgendeiner Weise Macht auszuüben, und das war Esau recht.
Freilich behandelte der große Physiker Abraham Esau wie einen Schuljungen, dem man alles erklären musste. Obwohl Esau recht gut in der Kernphysik bewandert war, hätte sein Wissen einem Vergleich mit dem der unter ihm tätigen Forscher nicht standgehalten. Deshalb gab er sich große Mühe, nicht ungeduldig zu erscheinen, als Hahn anfing, ihn über den Atommeiler zu belehren, der in dem Bunker gebaut wurde. Dass Esau derjenige gewesen war, der die entscheidende Information über Graphit geliefert hatte, ignorierte Hahn dabei.
Otto Hahn bemühte sich vielmehr beharrlich darum, das Esau »zu erklären«, und strengte sich sehr an, dem Generalbevollmächtigten klarzumachen, dass das, was in Kürze hier geschehen würde, von ungeheurer Bedeutung war. Hahn stand in Heisenbergs altem Büro und marschierte vor Esau auf und ab. Jetzt begann er mit leiser Stimme zu reden.
»Wir wissen natürlich nicht, was die Amerikaner getan haben, aber wir können Vermutungen anstellen und ihre Experimente nachvollziehen. Zumindest im Prinzip.« Esau sah die Stoppeln an Hahns Wangen. Sein Schnurrbart war ungepflegt und seine Augen blutunterlaufen, weil er zu wenig geschlafen hatte. »Das geht weit über die bescheidenen Laborexperimente hinaus, die ich mit Herrn Straßmann und Dr. Lise Meitner durchgeführt habe –«
»Sie brauchen Ihre Entdeckung keiner Jüdin zuzuschreiben, Dr. Hahn«, fiel Esau ihm ins Wort und richtete sich in seinem Sessel auf.
Hahn blieb stehen und sah Esau unter seinen buschigen Augenbrauen heraus an. »Lise hat einen wesentlichen Beitrag geleistet. Sie war die Erste, die die Idee hatte. Sie hat lange vor mir begriffen –« Er hielt inne, aber Esau wusste bereits, was Hahn dachte. Es gab sogar Gerüchte, dass er Lise Meitner bei der Flucht nach Schweden behilflich gewesen war. Aber dafür gab es keine Beweise.
Esau wollte den Mann nicht unter Druck setzen. Er brauchte Hahns Ideen, brauchte seine Fähigkeiten, wenn er eine sich selbst in Gang haltende Kettenreaktion hervorrufen wollte. »Das ist jetzt nicht wichtig. Wir interessieren uns im Augenblick für physikalische Prinzipien, nicht für politische.«
Hahn nickte. »Ja, allerdings. Wir wissen, dass die Spaltung des Urankerns möglich ist, und zwar das seltene 235er Isotop, wegen der langsamen Neutronen. Darauf hat Niels Bohr hingewiesen.«
Esau schloss kurz die Augen. Bohr, der Halbjude. Anscheinend stieß man überall in der Kernphysik auf sie.
»Aber wir können uns nicht damit zufriedengeben, lediglich ein oder zwei Spaltungen zu verursachen, bloß um zu beweisen, dass es möglich ist. Wir müssen fertigbringen, dass eine Spaltung die nächste und die nächste und wieder die nächste verursacht, sodass die Reaktion sich selbständig fortsetzt. Nur dann kann man sie nutzen, zum Beispiel einen Uranbrenner bauen, um Energie zu erzeugen. Das war eine von Heisenbergs Ideen.«
»Wir wollen eine Waffe bauen, Dr. Hahn, keinen Ofen.«
»Beide funktionieren nach demselben Prinzip. Hören Sie zu.« Er hob schulmeisterhaft den Finger. Es war ein dicker Finger mit von den Kohlenstoffblöcken geschwärzten Nägeln und Poren. Es würde Wochen dauern, den feinen Staub wieder aus der Haut zu bekommen. Selbst Stunden nach dem Duschen kam der Staub noch aus den Poren.
»Stellen Sie sich eine Mausefalle vor, Herr Esau, mit einer Murmel, die auf der Feder liegt.« Er trat einen Schritt zurück und deutete auf den Fußboden. »Und jetzt stellen Sie sich vor, dass der ganze Boden in diesem Zimmer mit solchen Mausefallen bedeckt ist, jede mit einer Murmel geladen, und jede einzelne davon bereit, in dem Augenblick zuzuklappen, wo sie das entsprechende Signal erhält.«
Esau beugte sich unwillkürlich vor und sah auf den Boden. Hahn sah sich um, als wäre ihm plötzlich eingefallen, wo er sich befand, dann senkte er die Augen und blickte finster. »Professor Heisenberg hat sich besonders gut auf solche Gedankenexperimente verstanden.«
Esau sagte nichts. Er legte die Fingerspitzen aneinander und wartete, bis Hahn fortfuhr.
»Und jetzt stellen Sie sich vor, dass ich vor diesem Zimmer voll Mausefallen stehe …« Hahn trat ein paar
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