Trinity (German Edition)
weitere Schritte zurück, hob die rechte Hand, Daumen und Zeigefinger etwas voneinander entfernt, als würde er etwas halten. »Ich halte hier eine Murmel. Ich werfe sie ins Zimmer.« Er tat so, als würde er werfen.
»Die Murmel, die ich in der Hand halte, ist wie ein Neutron, das ich in unseren Reaktor schicke. Jede unserer Mausefallen, gespannt und mit einer Murmel geladen, ist wie ein Urankern, der auf die Spaltung wartet.
Meine Murmel trifft eine Mausefalle, löst sie aus. Die Feder springt in die Höhe und schleudert damit die Murmel, die ich in den Raum geworfen habe, und die in der Mausefalle in die Luft. Die beiden Murmeln treffen die nächste Mausefalle, und zwei weitere Murmeln fliegen in die Luft und die ursprünglichen zwei auch wieder. Jetzt haben wir vier Murmeln, die alle in unterschiedliche Richtungen fliegen, auf unterschiedliche Ziele zu. Und das wiederholt sich immer wieder und immer aufs Neue, und das alles in ein paar Sekunden! Es ist wie ein Feuersturm, ja? Plötzlich ist der Raum mit fliegenden Murmeln gefüllt. Es klappert und kracht und schnappt!
Diese intensive Reaktion wird nur einen Augenblick dauern, bis alle Mausefallen ausgelöst worden sind. Alle Murmeln fallen auf den Boden. Sehen Sie, wie viel Energie ich freigesetzt habe, indem ich einfach ein Partikel werfe?« Er schnippte mit seinen geschwärzten Fingern. »So wird Ihre Bombe funktionieren, alles in einem Augenblick.«
Hahn machte kehrt und ging wieder auf Esau zu. »Aber unsere erste Kettenreaktion darf nicht so ablaufen. Es darf nicht sein, dass alles in einem Augenblick verbraucht wird. Für uns ist es wichtig, dass die Reaktion sich auf viel langsamere, kontrollierte Weise fortsetzt, weil wir die herumfliegenden Murmeln dazu benutzen, unser neues Element 94 aufzubauen. Und wie machen wir das? Wie können wir ein solches Inferno kontrollieren?
Stellen Sie sich vielleicht den mit gespannten Mausefallen gefüllten Raum noch einmal vor, aber diesmal sind die meisten davon nicht mit Murmeln geladen. Nur einige wenige. Wir müssen erreichen, dass genau die richtige Zahl von Mausefallen geladen ist – dass sich die richtige Menge von Uran-235 in der Mischung befindet – und wir müssen die Mausefallen im richtigen Abstand zueinander aufstellen, um so zu erreichen, dass im Durchschnitt jede Murmel, die eine Mausefalle trifft, bewirkt, dass genau eine weitere Murmel in die Luft fliegt. Auf diese Weise wird die Reaktion sich mit kontrollierbarer Geschwindigkeit so lange fortsetzen, wie wir das brauchen.«
Esau lächelte. »Äußerst elegant.«
»Das Universum ist elegant«, antwortete Hahn. »Aber es bewahrt seine Geheimnisse. Uns kommt es zu, diese Geheimnisse zu enträtseln. In Kriegszeiten müssen wir sie manchmal schneller enträtseln, als uns vielleicht lieb ist.«
»Das ist genau die richtige Einstellung, Dr. Hahn.« Esau lächelte. Es wirkte herablassend.
Hahns Züge verfinsterten sich. »Professor Esau, ich habe in meinem Leben schon einmal eine schreckliche Waffe erfunden. Im großen Krieg waren Fritz Haber und ich die Ersten, die daran gedacht hatten, Giftgas gegen den Feind einzusetzen. Phosgen, Chlorgas, Senfgas. Wir waren die Ersten. Es war unsere Idee. Fritz Habers Frau war selbst Chemikerin. Die erste Frau, die je an der Universität Breslau einen Doktortitel erhalten hat. Die Arbeit ihres Mannes war ihr zutiefst zuwider. Sie sagte, es sei eine Vergewaltigung der Wissenschaft.«
Hahn senkte die Augen, ließ sie tiefer hinter seinen buschigen Augen verschwinden. »Dr. Clara Haber hat Selbstmord begangen, als ihr Mann sich weigerte, seine Arbeit an unserer ›Superwaffe‹ einzustellen.«
Esau beschloss, Mitgefühl zu zeigen. »Das tut mir sehr leid.«
»Fritz Haber hat mir gesagt, dass ein Wissenschaftler in Friedenszeiten der ganzen Welt gehört, in Kriegszeiten gehört er seinem Lande. Und jetzt ist Kriegszeit, und wieder muss ich meine Arbeit dem Nutzen Deutschlands widmen. Ganz gleich, was das für den Rest der Welt bedeutet.«
Er starrte auf seine Fingerspitzen. »Ich halte mich für einen sanftmütigen Menschen. Aber wenn man all die Menschen zählt, die im großen Krieg dem Giftgas zum Opfer gefallen sind, dann klebt bereits das Blut über einer Million Menschen an meinen Händen.« Er blickte wieder auf. »Bitte behandeln Sie mich nicht so, als ob mir nicht bewusst wäre, was wir hier tun.« Er warf Esau einen durchdringenden Blick zu, machte dann kehrt und ging hinaus.
»In den nächsten paar
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