Trinity (German Edition)
weiträumigen Gebäude des Los Alamos National Laboratory, die sich bis hier draußen erstrecken würden. Ein Großteil des Geländes, auf dem sie sich jetzt bewegte, war ihr früher – in der Zukunft – versperrt gewesen.
Proton galoppierte munter dahin. Es schneite, und der Schnee blieb auf dem Boden liegen, hüllte die Landschaft in weiche, weiße Konturen. Als eine Stunde verstrichen war, wurde Elizabeth plötzlich bewusst, wo ihr Unterbewusstsein sie hingeführt hatte.
Sie band Proton mit den Zügeln an einem niedrigen Mesquitebusch fest. Der Wind war stärker geworden, aber der Schneefall hatte nachgelassen. Der Himmel war jetzt dunkelgrau, und für sie stand außer Zweifel, dass es die ganze Nacht durch schneien würde.
Was wohl passieren würde, wenn ein richtiger Blizzard über die noch nicht ganz flügge gewordene Stadt hereinbrach? In Elizabeths früheren Leben würde man jetzt die Schneepflüge einsatzbereit machen, um die Bergstraßen zu räumen, möglicherweise würden Schulen geschlossen werden. Wenn der Straßenzustand zu schlecht wurde, würden die Wissenschaftler, die in White Rock wohnten, vielleicht Schwierigkeiten haben, die zehn Meilen nach Los Alamos hinaufzufahren. Aber jetzt war alles verlassen.
Die Wände des Pajarito Canyon türmten sich hoch und steil vor ihr auf, beinahe prähistorisch anmutend und ohne jegliche Spur menschlichen Wirkens. Jahrhunderte früher hatten hier die Anasaziindianer gelebt. Im Hauptcanyon des Bandelier National Monuments, dem Frijoles Canyon, hatten sie Bohnen und Pfefferschoten angebaut und Schafe gezüchtet. Die Anasazi hatten Höhlenwohnungen hinterlassen, ganz ähnlich denen von Mesa Verde in Colorado, nur dass die Anasazi verschwunden waren – einfach verschwunden, so wie sämtliches Gerät des MCG-Versuchs, den sie und Jeff Maple in eben diesem Canyon sabotiert hatten.
Sie war seit beinahe einem halben Jahr nicht zu Jeffs Grab zurückgekehrt.
Proton schnaubte und sträubte sich gegen die Zügel, war sichtlich unzufrieden und wollte etwas tun. Aber die Zügel hielten, und er legte den Kopf zur Seite und sah Elizabeth an.
Sie starrte in den Canyon. Dort, auf einmal ganz deutlich zu sehen, war der primitive Weg, auf dem sie und Jeff zur Canyonsohle hinuntergeklettert waren, die Zäune umgehend, und wo sie dann darauf gewartet hatten, dass die Sicherheitsleute von Los Alamos weggingen, damit sie dann die Anlage zerstören konnten.
Brennende Wut auf alles, das ihre Handlung notwendig gemacht hatte, erfüllte Elizabeth.
Sie sah den Steinhaufen, mit dem sie Jeffs Leiche zugedeckt hatte. Niemand würde ihn je hier wegholen. Einige der Felsbrocken waren verrückt worden, vermutlich von Kojoten oder Vögeln, aber das Grab schien noch intakt. Angewehter Schnee klebte jetzt daran; der Schneesturm würde seine Begräbnisstätte einhüllen wie ein Leichentuch.
Elizabeth wollte nicht näher herangehen. Es war ihr unangenehm, dass sie Angst davor hatte, sich Jeff zu nähern, aber sie wollte nicht sehen, was von seiner Leiche übriggeblieben war. Sie wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie er neben ihr schlief, wie er sie in der Nacht vor der Livermore-Demonstration in ängstlicher Verzweiflung geliebt hatte. Sie wollte sich daran erinnern, wie sie ihn geküsst hatte, an das Spiel ihrer Zungen am Canyonrand, als sie ihren Abstieg und das Sabotagemanöver geplant hatten. Sie wollte sich an ihn erinnern, wie er seinen Hammer schwang, wie … Conan, der Friedensaktivist.
Elizabeth drückte die Augen zu. Sie wollte nicht daran denken, wie sie ihn zu seinem Grab gezerrt hatte, seine Augen geschlossen und von innen heraus verbrannt, seine Haut geschmolzen von der Explosion, die sie ein halbes Jahrhundert in die Vergangenheit geschleudert hatte. Sie wollte nicht daran denken, dass Jeff ihretwegen tot war, weil er gegen den Moloch Waffenforschung gekämpft hatte. All das hatte hier angefangen, hier und jetzt, in Los Alamos im Zweiten Weltkrieg.
Sie kauerte sich auf die kalten Felsen und griff nach einer Handvoll lockerer Steine. Als würde sie versuchen, Jeff zu wecken, warf sie sie zu der Einbuchtung in der Klippenwand, traf die Kiesel auf seinem improvisierten Grab. Sein Opfer hatte nicht viel bewirkt.
Sie erinnerte sich an den Livermore-Protest. Der hatte auch nichts bewirkt.
Das war nicht alles gewesen, was sie versucht hatte, in ihrer Verzweiflung war sie vor nichts zurückgeschreckt. Hier, im Jahre 1943 im Herzen des Manhattan-Projekts, hatte sie sogar noch
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