Trinken hilft
einen Chiropraktiker oder Orthopäden zu rufen. Sie sagte zu ihm, sie sei Physiotherapeutin, und man behaupte, sie habe heilende Hände. Wenn er möchte, würde sie sich sein Kreuz mal ansehen. Er war in Begleitung zweier Herren, ebenfalls in Bergsteigerkluft. Die drei hätten alles Mögliche sein können, Geschäftsleute, Professoren – in ihren Kniebundhosen und Karohemden sah man ihnen die Geistlichkeit nicht an, und einen Heiligenschein habe der Gute damals noch nicht gehabt.
Jedenfalls habe sie ihn auf seine Suite begleitet, die beiden Bergkameraden zogen sich diskret zurück. Sie habe den armen Invaliden auf seiner Liege erst weichgeknetet, dann warmmassiert, seine blockierten Chakren zum Leben erweckt und das Leben zum Fließen gebracht. So etwas war diesem kantigen Gipfelstürmer völlig fremd. Er lag vor ihr wie ein Säugling, dem man zum ersten Mal die Brust reicht. Die Tränen rannen ihm vor Behagen, vor Seligkeit über die Wangen, und dann habe sie mit einer gezielten Bewegung den eingeklemmten Nerv befreit. Ein kurzes Aufstöhnen seinerseits, aber dann die Erlösung – der Rücken war wieder gerade, der Schmerz Vergangenheit. Voilà, c’est fini , habe sie gesagt und ihn gebeten aufzustehen. Ein Wunder, Ihre Hände haben ein Wunder bewirkt , flüsterte er ergriffen, Sie sind ein Engel, Mademoiselle, Sie sind von Gott begnadet . Er habe sich gedreht und gebeugt und gestreckt, bis er außer Atem war. Dann habe er ihr über den Kopf gestrichen, behutsam und ernst, als wolle er sie segnen. So haben sie sich gegenübergestanden, eine Weile. Die Stille zwischen ihnen habe sich mit Bedeutung gefüllt, sie haben sich in die Augen gesehen, und – wie es in der Bibel so schön heißt – sie haben sich erkannt.
»Das Weitere kannst du dir vorstellen«, sagte Mama etwas verschämt. »Er war ein ganz normaler Mann, eine Hand gab die andere, und eine Stunde später verließ ich seine Suite auf leisen Sohlen. Da war ich schon nicht mehr allein, da hatte die Vorsehung den Urknall in mir ausgelöst und dich, mein Schatz, auf meine Umlaufbahn geschickt.«
»Dass du dich nicht schämst! Mit einem Pfarrer oder Kardinal oder was er damals war …«, stieß ich hervor.
»Ach was! Er roch ja nicht nach Weihrauch, wie hätte ich wissen sollen …?«, verteidigte sie sich.
»So etwas macht man einfach nicht!«, schleuderte ich ihr entgegen. »Mit einem Wildfremden! Er hätte Aids haben oder ein Psychopath sein können. Wenn er wenigstens ein charmanter Franzose gewesen wäre, ein Tennis-Ass oder Filmemacher, das hätte Stil gehabt. Aber so ein verknöcherter Niederösterreicher, einfach geschmacklos!« Die Beiläufigkeit meiner Entstehung kränkte mich. Ich hatte mich immer als Kind der Liebe gewähnt, die Frucht einer glücklichen Verbindung. Und was war ich nun? Ein klerikaler Bastard, das Souvenir einer belanglosen Begegnung. Ein Kollateralfabrikat. Die Trauer um meinen nun doppelt verlorenen Vater überwältigte mich.
Mama gab sich alle Mühe, mich zu trösten. »Sieh’s doch so: Du bist eine Auserwählte als Tochter des Papstes, und gleichzeitig warst du Papas Liebling. Zwei Väter – einen vom Himmel gesandten und einen Ziehvater für das irdische Gedeihen. Wenn das nichts ist!«
»Wenn Papa das wüsste! Er würde sich im Grab umdrehen«, schluchzte ich.
»Schmarren. Er wusste es.« Sie habe schon ein kleines Bäuchlein gehabt, als sie ihn kennenlernte. Komm, wir heiraten, habe er vorgeschlagen, seine Gene seien ohnehin keinen Pfifferling wert, lauter Hallodris im Stammbaum, habe er gewitzelt, das müsse man nicht ausbauen. Wenn dieser Typ aus Chamonix so einen seriösen Eindruck gemacht habe, umso besser für die Kleine. Er wünsche sich ein Mädchen, am liebsten so eine wie Mama. »Ja, und dann haben wir geheiratet. Den Rest kennst du.«
Ja, den Rest kannte ich. Papa war ein wundervoller Vater gewesen. Was er wohl dazu gesagt hätte, wenn er noch erlebt hätte, dass der Vater seiner Tochter zum Papst gewählt wurde? Ich jedenfalls hätte gern darauf verzichtet, die Wahrheit zu kennen.
»Weiß der Papst, dass er eine Tochter hat?«, wollte ich wissen.
Mama schüttelte den Kopf. »Wozu in ein Wespennest stechen? Dir mangelte es doch an nichts.«
Stimmt. Andererseits – dem Papst mangelt es an Realitätsbewusstsein. Er ist ein erzkonservativer, weltfremder Wasserprediger, der Empfängnisverhütung verurteilt und sich für den Schutz der Ungeborenen ereifert, während die Geborenen in den Slums als
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