Trinken hilft
versuchte ich bei den Antipasti (gefüllte Calamaretti auf Rettichmousse) mit ihr ins Gespräch zu kommen.
»Es war total öde. Die meisten Läden geschlossen wegen des Ostersonntags. Und überhaupt. Alle paar Meter stieß man auf eine Videoübertragung aus Rom. Großwandbildschirme mit dem Papst drauf, Urbi et Orbi und der ganze Zinnober. Zum Kotzen.« Sie nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Sauvignon.
»Der Papst, stimmt, im Augenblick hat er Hochkonjunktur«, pflichtete ich ihr bei, aber wenigstens sei er ein Österreicher, nicht ganz so frömmelnd wie einst der Pole.
Annabelle fixierte mich kurz. »Nicht ganz so frömmelnd? Wo leben Sie? Kriegen Sie nicht mit, was für ein Philister der Typ ist? Bloß weil er so sportlich wirkt, halten Sie ihn gleich für zeitgemäßer? Sie haben keine Ahnung, echt.«
Die Kleine machte einen verstimmten Eindruck, das gefiel mir gar nicht. Eigentlich wollte ich sie eher heute als morgen ins Bett kriegen. Sie hatte ein sauberes Figürchen, gazellenhaft, aber mit unübersehbaren Titten, das schmale Gesicht von der Blässe des Kopfarbeiters gezeichnet und von einer dunklen, eigenwilligen Lockenpracht gesäumt … einfach reizvoll.
»Stimmt«, gab ich betreten zu, »ich hab wirklich keine Ahnung von den Pfaffen. Ich bin Heide.«
Sie rollte die Augen. »Man muss nicht katholisch sein, um den Papst wahrzunehmen. Er ist omnipräsent und hat Macht, wirkliche geistige Macht. Und was macht er damit? Er predigt Enthaltsamkeit. Ein toller Tipp für die Frauen in den unterentwickelten Ländern, wenn sie in ihren Wellblechhütten von schnapsgetränkten Ehemännern Nacht für Nacht rangenommen werden! Wirklich toll!«
Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken. Annabelle sah zum Anbeißen aus, wenn sie sich so echauffierte. »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, und Liebe ist nun mal das Brot der Armen«, stimmte ich ihr zu. Am liebsten hätte ich angefügt, ich sei auch so ein schnapsgetränkter armer Teufel und hungere nach einem Krümel Lustgewinn, aber natürlich verkniff ich mir die Bemerkung. Bei solch einer Hochglanzpuppe fällt man nicht gleich mit der Tür in die Kabine, da braucht es schon etwas Aufwand. Ich hatte seit Langem keine Erfahrung mehr in diesem Geschäft. Die Getränke hatten mich zum Glück hinreichend gelockert, und im Hinterkopf spukte eine Erinnerung an meine Ratschläge aus Partnersuche für Trinker , sodass ich die Kleine nach dem Dinner beherzt in die Moonlightbar einlud, bevor es ein anderer tat.
Dort hätte ich sie gern auf andere Gedanken gebracht, doch sie hatte sich an dem drögen Papst-Thema festgebissen. »Warum nehmen Sie diesen Rockträger und sein Geschwätz so persönlich?«, versuchte ich sie zu beschwichtigen. »Sie sind eine aufgeklärte Person, ignorieren Sie ihn einfach! Ihnen kann er ja nicht schaden, und die Armen der Welt werden sich auch ohne sein Dogma nicht sterilisieren lassen.«
Sie taxierte mich mit einem wilden Blick. Oje, da hab ich was vermasselt, dachte ich und zog den Kopf untertänigst ein. Doch sie holte schon zu einer gepfefferten Retourkutsche aus: »Nicht persönlich nehmen soll ich ihn? Sie haben keine Ahnung! Ich will Ihnen was verraten. Ich muss ihn persönlich nehmen. Mehr als jede andere.« Dann leerte sie in einem Zug ihre Bloody Mary, räusperte sich und sagte: »Ich erzähle Ihnen, warum ich ihn persönlich nehmen muss. Dazu brauche ich noch einen Drink.« Ich gab dem Kellner ein Zeichen, und als die gefüllten Gläser vor uns standen, weihte sie mich ein.
Der Teufel mochte meine Mutter geritten haben, als sie mich damals am Friedhof mit der Wahrheit überfiel. Ich studierte Jura und hatte begriffen, dass die Wahrheit eine Frage der Perspektive ist. Dass der Krug halb voll oder halb leer sein kann, je nach Durst. Deshalb bin ich skeptisch, sobald sich jemand auf die Wahrheit beruft.
Es war im September jenes Jahres, als Papst Severin zum ersten Mal nach seinem Amtsantritt im Vatikan seine österreichische Heimat besuchte und Wien kopfstand. Überall Straßensperren, Polizisten, Trauben von Gläubigen, die durch seinen Anblick einen Hauch von Ewigkeit erhaschen wollten. Überall Gedränge, kein Durchkommen und zu viel Frömmelei unter den Gottlosen. Segen und Fürbitten fürs Jenseits von so einer Krämerseele, während der Globus hier und jetzt in Chaos und Agonie versinkt – das muss ich nicht haben. Als Juristin lernt man, pragmatisch zu denken. Bei den Grünen engagierte ich mich für ein Überleben im
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