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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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würde ich dir übrigens auch raten. Für die Zukunft.« Ich glaube, sie verstand.

HÖHLENMENSCHEN

    A m nächsten Morgen saß ich bereits um kurz nach 6 Uhr am Frühstückstisch. Zwar ungewaschen und unrasiert, aber dafür mit einem ganzen Tablett voller Gambas, Garnelen und Krebsschwänze an einem der begehrten Tische hinter der Plexiglaswand, draußen in der kühlen Meeresluft, doch windgeschützt. Die fahle Morgensonne stieg hinter dem Schiff aus dem violetten Abgrund der Nacht langsam empor, erreichte die Wasserlinie am Horizont und tauchte das Meer urplötzlich in blankes Gold. Ein grandioser Anblick, für den sich das frühe Aufstehen gelohnt hatte, obwohl das nicht mein Grund war.
    Der Grund war – beschämend trivial – dieser Haufen Meeresfrüchte vor mir im pekuniären Gegenwert einer Galaaufführung in der Semperoper, wie ich von dem gewitzten Opa mit Stock gerade erfahren habe. Wie dieser teutonische Tattergreis es jedes Mal schaffte, als Erster am Büfett zu sein, war mir ein Rätsel. Jedenfalls trug er sein ungeniert vollgehäuftes Tablett wie eine Trophäe vor sich her, den Stock feldherrenmäßig unter den Arm geklemmt, und zischte mir frech zu: »Nur Mut, junger Mann, allerbestes Protein für die Lenden, das gibt Kraft, was? Wer zuerst kommt, frisst zuerst, haha, alte Kommiss-Weisheit.«
    Mir war das peinlich, ich sah mich um, ob jemand zugehört hatte. War aber nicht der Fall, waren alle selbst mit Hamstern beschäftigt. Um diese frühe Stunde waren hauptsächlich Männer auf den Beinen, einige dampften noch aus ihren aerodynamischen Jogginganzügen. Sie hatten gerade ihre morgendlichen Pflichtrunden gedreht, bevor sie sich aufs Protein stürzten. Ich kämpfte verbissen mit meiner Ladung Schalentiere und fragte mich insgeheim, ob das penetrante Chitinaroma es wirklich wert war, den Wecker auf halb sechs zu stellen, wo ich doch Schinken mit Rührei viel lieber mag.
    »Darf ich mich zu Ihnen in den Windschatten setzen?« Eine hanseatisch gefärbte Stimme riss mich aus meinen Überlegungen. Um ehrlich zu sein, so früh am Morgen fühle ich mich der Menschheit noch nicht gewachsen. Nicht vor dem ersten Schluck Alkohol, der auf See den inneren Kompass einnordet und für eine Erstorientierung sorgt. Die Lady wartete nicht erst auf meine Antwort, die ich ihr mit vollen Hamsterbacken ohnehin schuldig bleiben musste, denn ich bekam das Zeugs einfach nicht runtergewürgt. Als hätte sie meine Not erkannt, riet sie mir: »Sie sollten sich einen leichten Weißwein zu diesen Schalentieren gönnen. Der Alkohol hilft einem, die Eiweißmasse zu verdauen. Nicht dass Sie sich einen Proteinschock einhandeln!«
    Einen Proteinschock – ich bedurfte anscheinend dieses Stichworts, um meinen Widerwillen nicht länger zu unterdrücken. Angeekelt schob ich den noch immer randvollen Teller beiseite. Schon kam der Steward angetrabt, ein Glas Weißwein auf dem Tablett, als habe er mein mühsames Kauen bereits eine Weile beobachtet und daraus seine Schlüsse gezogen. Ja, das Personal auf diesen Luxusschiffen ist wirklich geschult. Es erkennt die Bedürfnisse seiner Gäste, bevor diese selbst ahnen, was ihnen nottut.
    Der trockene Riesling war meine Rettung. Noch am Tag zuvor hatte ich mich für die Passagiere geschämt, die sich gierschlündig die teuersten Delikatessen aufluden, um sie dann zur Hälfte angeknabbert gedankenlos wieder abräumen zu lassen. Und nun war ich selbst so ein Prassgeier. Wohin kam dieser Luxusmüll eigentlich, für dessen Beschaffung sich bandscheibengebeugte Fischer rund um den Globus den Arsch aufreißen? Stürzten sich die Pakistanis im Maschinendeck auf die Reste oder wurde der Abfall dem Meer zurückgegeben, den Möwen und Fischen zum Fraß? Ich nahm mir vor, gelegentlich auf Schwanzflossen im Kielwasser zu achten.
    Meine Tischgenossin machte keinen Hehl aus ihren Beobachtungen. »So geht es allen auf ihrer ersten Kreuzfahrt«, klärte sie mich auf. »Die Augen sind größer als der Magen.«
    »Sie sind wohl oft auf solchen Traumschiffen unterwegs?«, brachte ich hervor, nachdem der Riesling mir geholfen hatte, die Chitinklumpen aus meinen Backen hinunterzuschwemmen und die Übelkeit zu verscheuchen. Sie schüttelte ihren silbergrauen Bubikopf und lächelte. »Keine Spur. Ich bin das erste Mal auf solch einem Partydampfer und wahrscheinlich auch das letzte Mal.« Auf mich wirkte sie wie ein alter Hase, der es nicht mehr nötig hatte, sich angesichts des Überangebots vollzupframpfen.
    »Dann

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