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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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der Strecke geblieben.
    Meine Frau rollte die Augen. So dürfe man das nicht sehen, erfuhr ich. Feng Shui bedeute lebendiges Wohnen in Harmonie mit dem Kosmos, nicht statisches. Feng Shui beziehe die Erdbewegung und die dadurch sich ändernden astralen Einflüsse in die individuelle Raumgestaltung mit ein. Erdbewegung ? … Mir wurde schwindelig bei der Vorstellung, in Zukunft auch noch dieser Zugkraft hinterherhecheln zu müssen. Und noch schwindeliger wurde mir beim Anblick des exorbitanten Honorars, das ein in violette Jute gewandeter Asiate für sein Gutachten berechnete. Hatte ich es doch geahnt, dass aus dem Osten nichts Gutes kommt.
    Man muss sich diesen Käs einmal anhören: Ein Haus gilt als gesund, wenn die Straße, an der es liegt, weder eine Kurve noch eine T-Kreuzung vorweist; wenn die Vorderseite nach Osten schaut und Blick auf Wasser gewährt. Und das in einer Millionenstadt! Unser Haus stand an einer kurvigen Straße direkt vor einer T-Kreuzung, die Haustür ging nach Westen und von Wasser keine Spur. Darüber hinaus standen rechts von uns eine Reihe höherer Häuser, was besagt, dass der weiße Tiger herrsche, also die Frau das Wort führe. Die Treppe direkt vor der Haustür bewirke, dass die Bewohner sich schwertun, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen.
    Das Gutachten umfasste zwanzig Seiten, nach zehn Seiten ließ ich es sinken. Ich stand auf, schritt durch den Flur. Er ist L-förmig und damit für Unbeständigkeiten seitens der Bewohner prädestiniert. Wie wahr! Die Haustür mit ihrem glasunterlegten Rundbogen, durch den der Drache und mit ihm familiäre Streitigkeiten angezogen würden, öffnete sich. Meine Frau kam nach Hause. Ich fackelte nicht lange herum. Ich sah rot, die Farbe des Drachen, und schoss sie auf den Mond. Das Gutachten gleich hinterher.
    Nachts, wenn der Mond in seiner unbeständigen Gestalt über das Firmament gleitet und mein Blick sich unter der Kuppel des Sternenhimmels verliert, ergreift mich seitdem ein tiefer Frieden. Wir haben unseren Platz gefunden. Ich in Berlin, ein Großstadteremit zwischen selbst gepflanzten Himbeersträuchern, und sie irgendwo da oben, ein blinkendes Perpetuum mobile auf dem Weg zu neuen Ufern. Nie habe ich mich ihr verbundener gefühlt …
    »Haben Sie sie erschossen?«, war das Einzige, was mir nach seiner Schilderung spontan einfiel.
    »Wo denken Sie hin!«, entrüstete er sich. »Ich bin ein friedliebender Mensch. Ich bringe nicht einmal die Schnecken in meinem Garten um. Ich setze sie in ein gitterbewehrtes Kleebeet, diese stillen, langsamen Kreaturen, meine Freunde. Barbara musste ich bloß auf die Russen ansetzen, wie gesagt, ich sah rot. Die Petersburger Schickeria fehlte noch in ihrem Sortiment. Dort geriet sie gleich an den Richtigen, einen dauerjettenden Geschäftsmann, der sie überall hin mitnahm. Ich musste sie nicht umbringen, was denken Sie von mir? Das tat sie selber, bei ihrem Tempo. Ein Verkehrsunfall. So ist das halt bei uns Menschen. Wer sich nicht die Zeit nimmt, die wir im Überfluss haben, dem bleibt keine. Der stirbt früher. Sie war mir immer um Längen voraus. Auch mit dem Sterben. Sie war einfach schnell.«
    »Wie tragisch«, stammelte ich. Die Geschichte verlangte nach einem kräftigenden Schluck.
    »Ach was«, beruhigte mich der Berliner, »machen Sie sich keinen Kopf! Meine Frau hat alles erlebt, was sie wollte, bis auf das Mutterglück. Aber dafür hätte sie ohnehin keine Zeit gehabt. Ist auch besser so. Es gibt schon genug Waisenkinder. Kommen Sie, trinken wir auf ein langes Leben!« Er winkte den Steward herbei, und ein Glas später winkte ich ihn herbei, und so ging es weiter, bis das Schiff sich langsam wieder mit den erschöpften Landgängern aus Barcelona füllte, bis das Signal zum Ablegen ertönte und unser Dampfer, von arthritischer Hand gesteuert, die Kolumbussäule hinter sich ließ. Das Dinner war angerichtet.

MEIN HEILIGER VATER

    E ines der sechs Mädels an meinem Tisch gefiel mir besonders gut. Annabelle. Sie war Single wie die fünf anderen. Ein Lob auf das Management, das die Tischordnung beim Dinner so ausklügelt, dass Ehepaare Ehepaare ertragen müssen und die Singles gruppendynamisch nach Generationen zusammengesetzt werden. Annabelle hatte sich selbstverständlich nach Barcelona hineingewagt, sie war gerade erst 26 Lenze jung, sag ich mal ganz poetisch, sie war noch nicht verbraucht und auf Whiskey am Pool angewiesen. Sie war die jüngste am Tisch.
    »War’s spannend in Barcelona?«,

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