Trinken hilft
paar Abbildungen von Ölgemälden mit Saufgelageszenen alter Meister zwischen die Hinweise auf Herbergen mit Minibar. Ein kleiner Exkurs Orientierung im Gelände unter dem Sternenhimmel kann dem sternhagelvollen Pilger ein Gefühl von Sicherheit geben und zeigt, dass der Autor die Nöte von zechfreudigen Nachteulen kennt.«
»Aber das ist gefährlich«, fuhr mir Lena in die Parade. »Die betrunkenen Pilger werden sich das Genick brechen.«
»Quatsch. Es gibt mehr alte Weintrinker als alte Ärzte. Außerdem werden diese Schluckspechte das Buch gar nicht lesen. Es soll der Pilgerreise nur den Ruch von Askese und religiöser Selbstdisziplin nehmen und stattdessen eine Stimmung von entspannter Lebensfreude suggerieren, mehr nicht. Wenn wir uns gemeinsam hinter unsere PCs klemmen, haben wir das Manuskript in zwei Wochen so weit, dass wir es einem Verlag anbieten können.«
»Du bist verrückt«, hauchte meine Frau entgeistert, »das ist zynisch, das kannst du nicht bringen. Damit nimmst du den Menschen die letzten Hemmungen und dem Jakobsweg seine spirituelle Komponente.«
Ich hätte ihr mehr Fantasie zugetraut. Spiritualität und Spirituosen, man erkenne doch bereits am Wortstamm die Verwandtschaft dieser Begriffe, belehrte ich sie und zitierte eine Bibelstelle, der zufolge Noah von der Arche stieg und als Erstes Wein anbaute.
»Seit wann holst du ungläubiger Thomas dir deine Argumente aus der Bibel?«, lästerte sie.
»Die Bibel hat recht«, gab ich zu. »Rausch und Religion ergänzen sich, sie gebären Visionen, ermöglichen Transzendenz. Sie helfen uns armen Einzelkämpfern, uns als Teil des Ganzen zu empfinden. Am Stammtisch und in der Kirche fühlen sich die Leute als Gemeinschaft. Dort erleben sie Kommunion, das stallwarme Wir. Und Jesus hat nicht Wasser in Cola verwandelt, nein, meine Liebe, auch nicht in Espresso. Sondern in Wein hat er es verwandelt, weil er wusste, dass der Rausch die Leute vereint. Da staunst du, was?«
Ich entkorkte eine Flasche Wiesenbronner Wachhügel, denn ich hatte vorgesorgt. Ich prostete Lena zu, und nebenbei kritzelte ich auf die Tageszeitung Gottesdienstgestaltung für Trinker , ein Titel, der mir soeben eingefallen war. Der erste Schluck war reines Labsal. Er entplombte meine Fantasie und öffnete die Schleusen für einen Strom göttlicher Ideen. Ich konnte gar nicht so schnell schreiben, wie mir die Titel für neue Bücher aus dem Hirn drängten:
Trinkerweihnacht : Berauscht durch die Raunächte zwischen Punsch und Feuerzangenbowle …
Extremklettern für Trinker … Vereinsreden für Trinker …
Steuerratgeber für Trinker … Simplify your life: Drink! …
Trinken online … Dänisch für Trinker … Das Thema war uferlos.
Lena starrte mich nur an, während ich sie mit meinen Einfällen zutextete. »Ich muss anfangen, ich darf keine Zeit verlieren«, stöhnte ich und fuhr den Computer hoch. »Bist du dabei?«
Sie schüttelte nur den Kopf. Kommentarlos. Schade. Zu zweit hätten wir in den folgenden Jahren das doppelte Pensum geschafft. Aber nun. Man kann Pferde zur Tränke führen, aber man kann sie nicht zum Trinken zwingen, also zog ich es alleine durch. Manchmal – zwischen zwei Büchern – legte ich mich für zwanzig Stunden ins Bett und schlief den Erschöpfungsschlaf eines Marathonläufers. Manchmal, wenn es gerade wieder Sommer war, setzte ich mich auf einen Prosecco zu Lena auf den Balkon und fragte, ob sie schon eine Stelle habe. Manchmal, während der Drucker ein neues Manuskript ausspuckte, gönnte ich mir den Rest aus ihrer Chiantiflasche und spürte, dass ich noch lebte. Dann bedauerte ich, aus Zeitmangel nicht öfter solchem Genuss zu frönen, und verstieg mich zu dem aufrichtigen Vorsatz, ihr zumindest einmal pro Tag beim Trinken Gesellschaft zu leisten.
Sei’s drum, man weiß es ja: Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Kaum hatte ich ein Manuskript an den Verlag gesendet, gaffte mir die leere Maske vom Bildschirm entgegen und schrie nach dem nächsten Titel: Der Trinker und sein erstes Kind … Trinkfasten: Die Baikaldiät … Wenn der Partner nicht trinkt … Ich brauchte nur auf Amazon zu stöbern, um zu erkennen, welche Bücher noch in die Trinkerversion umgeschrieben werden wollten. Eine Lebensaufgabe. Kaum hatte ich einen Titel abgehakt, stürzte eine Flut neuer Buchideen auf mich ein. Ich hatte nicht nur eine Marktlücke entdeckt, schlimmer, ich war ein Sklave des Marktes geworden, des Buchmarktes, wo die Verleger nach
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