Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft
Autoren: Maxi Buhl
Vom Netzwerk:
zur Außenwelt. Manchmal brachte sie mich auf eine trendgemäße Idee für meine Ratgeber. Gedankenverloren blätterte ich durch die Seiten. Es ging auf Ostern zu, wie ich der Reisebeilage entnahm. Die Skigebiete warben mit Firnpisten und Après-Ski-Bars, die Schiffsagenturen mit Kreuzfahrten in den mediterranen Frühling. Reisen, Sonne, Ferne – die Vorstellung weckte in mir eine Sehnsucht nach Veränderung und Lebendigsein. Himmel, ich hatte eine Latte von Reiseführern geschrieben über Gegenden, die ich nur aus zweiter Hand kannte. Ich hatte mich von meinem Schreibtisch seit über fünf Jahren nur erhoben, um mir einen Espresso aufzubrühen oder eine Pizza in die Mikrowelle zu schieben. Es wurde Zeit, mal wieder unter Menschen zu sein. Ein Tapetenwechsel war nötig, keine Frage.
    Nur wohin? Skifahren – soll Spaß machen, klar. Wenn man trainiert ist. Meine Finger waren trainiert, vom Tippen. Den Rest meines Körpers konnte ich vergessen. Ich versuchte einen Klimmzug am Türrahmen – Fehlanzeige. Ein nasses Handtuch ist elastischer. Skifahren kam nicht infrage, war auch früher nicht mein Ding gewesen. Mehr das Après-Ski, da kommt man sich näher. Aber gut, auf Kreuzfahrtschiffen auch. Langsam erwärmte ich mich für den Gedanken. Auf so einem Dampfer bewegt man sich über den Globus, ohne einen Muskel zu rühren. Entspannt liegt man auf einer Liege an Deck, einen Drink in der Hand und eine hübsche Brünette neben sich, während am Horizont unbekannte Küsten an einem vorbeiziehen. Emsige Stewards sorgen rund um die Uhr für das körperliche Wohl und die flirtende Reisebekanntschaft für das seelische.
    Ob ich dabei seekrank würde, konnte ich nicht voraussagen. Eine Bootsfahrt über den Königssee als Zwölftklässler war meine einzige Erfahrung auf schwankendem Boden, und damals war ich frisch verliebt in Tina und hatte permanent Schmetterlinge im Bauch. Aber egal, trinken hilft bei Seereisen, jedenfalls habe ich das selbst geschrieben und noch kein Verfahren angehängt bekommen. Wird schon stimmen. Wo steckte er bloß, dieser Ratgeber? Ich durchsuchte das Bücherregal mit meinen Belegexemplaren. Da war sie, die Nummer 41 in meiner Trinkerreihe: Trinken für Kreuzfahrer: Niemals trocken auf hoher See. Ich hatte einen bewährten Reiseführer für das westliche Mittelmeer und die Inseln des ewigen Frühlings in die Trinkerversion umgeschrieben, der Verlag war sehr angetan von den Verkaufszahlen. Wäre es nicht nett, einmal selbst zu überprüfen, ob das, was ich mir täglich aus dem Hirn quetschte, der Wirklichkeit entsprach?
    Der Gedanke an dieses Experiment gefiel mir. Ich vertiefte mich noch einmal in die Anzeigen der Reisebeilage, diesmal bereits zielorientiert. Da war sie, meine Reise. Neun Tage westliches Mittelmeer, Lissabon, Teneriffa auf der MS Fortuna, einem italienischen Vergnügungsdampfer der neuen Generation, knapp 3000 Passagiere und halb so viel Mann Besatzung, Bordsprachen Englisch, Deutsch und Italienisch. Jedenfalls genügend Gesellschaft, um der Einsamkeit zu entkommen. Von den Passagieren würde die Hälfte weiblich sein und davon ein Drittel Singlefrauen, mindestens, denn die Verheirateten trifft man am Bodensee oder in der Fränkischen Schweiz, mitsamt ihren Gören, also stünden mir in etwa 500 Bräute zur Verfügung. Und wenn die sich wirklich alle verweigern sollten, könnte ich immer noch unter den Filipinas der Crew fündig werden, von denen es heißt, sie seien willig und dankbar. Gab es irgendein Problem? Ich sah keines und buchte.
    Als ich das Anmeldeformular abgesendet hatte, wurde ich vom Reisefieber gepackt. Ein längst verkrustetes Gefühl, das mich an Lena erinnerte. Schwamm drüber, Lena war Vergangenheit. Lena häufelte wahrscheinlich gerade neben ihrem stocknüchternen Ökofreak in Birkenstocksandalen Gartenerde um frisch gesetzte Küchenkräuter und spürte ihrem Eisprung nach. Nein, Lena war verloren. Ich musste sie vergessen und den Blick auf neue Ufer lenken.
    Ein Blick in den Spiegel und schon sank meine Stimmung in den Keller. Ich war ergraut. Wann war das geschehen? Ich hatte seit Jahren nicht mehr bewusst in den Spiegel geschaut. Die Friseuse aus dem dritten Stock schnitt mir einmal pro Monat die Haare, hier an meinem Arbeitsplatz, wo ich gleichzeitig mein Manuskript auf eine Sicherheits-CD brannte, um ihr zu signalisieren, dass ich beschäftigt und meine Zeit kostbar war. Einmal hat sie den beherzten Versuch unternommen, mich zu einer Haartönung zu überreden,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher