Trinken hilft
meinem Blut dürsteten, das ich ihnen in Megabytes konserviert zweiwöchentlich lieferte.
In Trinken am Arbeitsplatz verriet ich dem durstigen Leser die bewährtesten Tricks, um Hochprozentiges unauffällig in die Kaffeetasse zu schmuggeln, während neben mir nur die Espressomaschine auf Hochtouren dampfte. In Berufswahl für Trinker bot ich dem Ratsuchenden eine breite Palette von Möglichkeiten, bei denen sich das Trinken nicht nur bestens einbauen lässt (zum Beispiel alle Berufe mit Mundschutz, also Chirurgen, Zahnärzte, Laboranten, Lebensmittelchemiker usw.), sondern auch solche Berufe, die ohne Alkohol nicht zu bewältigen sind: Politiker, Fernfahrer, Altenpfleger, Pastoren, Hauptschullehrer und viele mehr. Den Schriftsteller vergaß ich, der fällt wohl eher unter die Kann-Bestimmung. Kann trinken, muss aber nicht. Das sah ich ja bei mir selbst. Hehre Vorsätze, aber keine Disziplin.
Und Lena? Ich glaube, Trinken half ihr wirklich. Eine Zeit lang. Bis sie diesen Typen kennenlernte, der mit ihr abends ganz schlicht ins Bett stieg, anstatt – wie ich – das Kamasutra für Trinker in die Tastatur zu hämmern. Was soll ich sagen? Eines Tages war sie weg. Mir fiel es erst auf, als ihre Zimmerpflanzen vertrockneten. Pflanzenpflege für Trinker war mein erster Impuls beim Anblick der verwelkten Blätter, so tief war ich bereits gesunken. Ich hatte das Leben um mich herum und mein eigenes ausgeblendet, ich war zu einem Zehnfingersystem unter dem Diktat einer linken Gehirnhälfte geschrumpft. Plötzlich entdeckte ich überall in der Wohnung Zeichen von Lenas Abgang: Im Badezimmer fehlte ihre Zahnbürste, ihr Kleiderschrank war leer, und auf ihrem Nachtkästchen lag aufgeschlagen mein Ratgeber Nummer 23: Gelöst zum Orgasmus. Frauen kommen mit Prosecco . Ihre Bücher im Regal hatte sie dagelassen. Und einen Zettel neben meinem letzten Ausdruck Obst für Trinker : Keltern, Mosten, Brennen – ein Leitfaden für den Gartenbesitzer, worauf gekritzelt stand:
Lieber Paul,
Trinken hilft, Du hast recht. Bei den Anonymen Alkoholikern habe ich Simon kennengelernt, einen Gärtner. Mit ihm bin ich nicht allein. Da Du ein Meister der Zitate bist, kennst Du sicher auch dieses: Willst du drei Stunden glücklich sein, trink dir einen Rausch an. Willst du drei Tage lang glücklich sein, heirate. Willst du ein Leben lang glücklich sein, werde Gärtner. Leb wohl!
An diesem Punkt hätte ich aufhören sollen. Aber ich hörte nicht auf. Ich hatte Erfolg, ich war süchtig danach. Arbeiten ist eine legitime Sucht, man wird dafür bewundert oder zumindest belohnt, also fühlt man sich im grünen Bereich, auf der Seite der Gewinner und macht weiter. Manchmal bis zum letzten Atemzug. Wenn materieller Erfolg unser Tun sanktioniert, sehen wir keinen Grund, unser Leben zu ändern. Auch ich brauste weiter auf dieser Einbahnstraße bis zu dem Tag, als ich erkannte, dass ich in einer Sackgasse steckte. Es war an einem Mittwochabend im März, 20 Uhr 40 Ortszeit.
Fertig. Mein hundertstes Buch. Wie üblich mit dem Schlussakkord: Na denn mal Prost! Etwas abgedroschen, dessen war ich mir bewusst, aber so ein Allgemeinplatz vermittelt dem Leser ein gutes Gefühl, entlässt ihn in die Freiheit, das zu tun, wonach ihn am meisten gelüstet. Zu trinken. Und darauf legte ich Wert bei meinen Ratgebern. Schließlich schrieb ich keine moralischen Essays, sondern Motivationsliteratur für den durstigen Endverbraucher. Der Computer übermittelte die Datei gerade an den Verlag, ich räkelte mich auf meinem Drehstuhl und überlegte ernsthaft, sofort mit dem nächsten Buch zu beginnen. Doch dann erinnerten mich meine müden Augen daran, dass ich die letzten drei Nächte durchgeklotzt hatte, und ich fuhr den PC herunter.
Mein Verlag hatte mir heute eine Weinlieferung zukommen lassen, das Paket stand noch ungeöffnet in der Diele. Eine kleine Aufmerksamkeit nicht ohne Hintergedanken. Durch die Blume oder vielmehr durch die Traube wollte man mich ermuntern: Bleib am Ball, mach weiter so, und wenn du Stärkung brauchst, hier hast du sie. Casteller Bausch, nicht übel, die Verlagsleute kannten meinen Geschmack. Der erste Schluck war immer eine Offenbarung. Genießerisch schwenkte ich ihn im Mund, ganz verliebt in das Bouquet. Der Wein schmeckte nach Sommer, nach Erde, nach wilder Natur – Elemente, die ich selbst seit über fünf Jahren nicht mehr erlebt, wohl aber mit der Begeisterung eines Connaisseurs in meinen Büchern wortreich beschrieben hatte. Die Seiten
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