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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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die organisierte Sightseeing-Touren anbieten. Meine ursprüngliche Absicht, der Herde von Mitpassagieren heldenhaft zu entkommen und auf eigene Faust Granada zu erobern, hatte ich nach zehn Minuten völliger Orientierungslosigkeit im Wirrwarr der Hafenzone aufgegeben. Zurück konnte ich nicht mehr, denn da hätte ich auf der Gangway gegen die Lawine der herabwalzenden Landgänger ankämpfen müssen, dazu muss man lebensmüde sein. Aber immerhin: Gerade zehn Minuten an Land, und schon sehnte ich mich nach unseren 130 Tausend Bruttoregistertonnen Luxushort zurück. So viel zur Schiffsbindung durch Landgänge. Das erklärt auch, warum die Exkursionsanbieter an Bord so penetrant für ihre organisierten Touren werben. Sie wissen, wie froh ihre Schäfchen auf ihrem Ausflug in die freie Welt über den Schutz durch die Gruppe sind, bevor sie wieder heim in den Stall dürfen.
    Da saß ich nun also in einem Bus mit deutschsprachiger Reiseleiterin. Sie sächselte und führte ein strenges Regiment unter den Insassen. Wer nicht ihrem Zeigefinger folgte und da hinsah, wohin sie deutete, den strafte ihr Oberlehrerinnenblick. Mein Sitznachbar war schon im Rentenalter, aber sicher rüstiger als ich, denn er wirkte beängstigend alpin. Trekkingschuhe, Breitcordhose, Karohemd, Rucksack – vielleicht hatte er vor, in der Sierra Nevada zu kraxeln. Er sei im Werdenfelser Land daheim, stellte er sich mir vor. Ich hatte keine Ahnung, wo das sein sollte. Südlich von München, erklärte er stolz. Na ja, halb Europa liegt südlich von München. Man kennt sie, diese Bayern. Sie halten sich für den Nabel der Welt.
    Unser Bus ließ den Hafen hinter sich und zog an Kilometern von Treibhäusern vorbei, einer Landschaft unter Glas, wo das Gemüse für Aldi & Co. gezogen wird, erfuhr man von der Sächsin. Alle nickten. Dann ging es die Hügel hinauf in die Ausläufer der Sierra, die Alpujarras mit ihren malerischen Dörfern und halb leeren Stauseen, aus denen die Golfplätze an der Goldküste gespeist werden. Ökologisch ein Desaster, kommentierte mein Bayer, der mich unaufgefordert unterhielt. Er kenne die ganze Region wie seinen Rucksack, er sei ganz oben schon Ski gelaufen, erzählte er. So sah er aus. Im Barrio de las Cuevas, bei den Höhlenwohnungen von Guadix, sei ein kurzer Aufenthalt zum Fotografieren eingeplant, avisierte uns die Sächsin, und der Bayer warnte mich: »Obacht auf den Geldbeutel, des san Zigeuner in den Höhlen!«
    Vor den Höhlen, auf einem riesigen Parkplatz, parkte bereits ein halbes Dutzend Touristenbusse, deren Passagiere vor einer Mammutleinwand standen und sich die viersprachige Powerpoint-Präsentation über die Höhle als klimatisiertes Habitat (ganzjährige 18 bis 20 Grad Celsius) seit zehntausend Jahren reinzogen. Von allen Seiten wurden wir von bettelnden Kindern umschwärmt, hinreißend, diese Motive, in Hunderten von Kameras für die kommenden zehntausend Jahre konserviert. Frauen in wunderlichen Trachten streckten uns ihre goldberingten Hände entgegen, die aber von mir ignoriert wurden, weil der Bayer mich abermals warnte: »Bloß nix geben, sonst kriagn Sie’s nimmer los!«
    Andere Touris, Paare auf Hochzeitsreise und gebrechliche ältere Damen, zeigten sich großherziger und wurden zum Dank auf die spendablen Geberhände geküsst. Igitt! Ich fühlte mich im Zentrum von Krankheitserregern und desinfizierte mich mit einem hastigen Schluck Stroh-Rum aus meinem Flachmann. Dann schrillte eine Trillerpfeife über diese volkskundliche Multimedia-Andacht hinweg, die Reiseleiter trieben ihre Schäfchen in die Busse zurück, und weiter ging die Fahrt. »Schauen S’, die Mercedesse da hinten!« Der Bayer deutete beim Wegfahren auf einen Fuhrpark. »Die gehören den Zigeunern. Die verdienen sich goldene Zähne mit ihren Höhlenwohnungen.«
    Ich hätte gerne mal in so eine Höhlenwohnung hineingespitzt, verriet ich ihm, ob es da drin Fernsehempfang gäbe. »Die haben alles«, versicherte er mir. »Zweihundert Programme, Strom, Telefon, Internet, bloß am Wasser hapert’s a bissl, aber da sind’s eh ned so erpicht drauf. Mit Steinzeit hat des nix mehr zu tun. Aber fürs Geschäft macht sich Steinzeit immer gut.«
    »Bei allem Komfort«, wandte ich ein, »so eine lichtlose Wohnung würde mich depressiv machen. Sie etwa nicht?«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie werden’s nicht für möglich halten, aber mein Nachbar, der Mangold Fritzi, der wohnt praktisch auch in so einer Höhlenwohnung. Im Werdenfelser Land, also in

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