Trinken hilft
Tür und Angel festgewachsen schien und die Angelegenheit verdrängen wollte. Ich stieg voraus die steile Kellerstiege hinunter, er widerwillig hinter mir her. Die schwere Kellertür war von Spinnweben verhangen und knarrte beim Öffnen. Mich gruselte. Seit einer flüchtigen Visite beim Einzug hatte uns nichts mehr in dieses düstere Verlies gelockt. Unter Todesverachtung setzte ich Fuß vor Fuß auf den klammen Steinboden, bei jedem Schritt fürchtete ich, Spinnen oder Asseln breit zu treten. Wir mussten die Köpfe einziehen, um nicht an die niedere Decke zu stoßen. Es war kein stilvoller Gewölbekeller, wohin man sich zur Weinprobe abseilen möchte. Es war eine modrige Gruft, eine Rumpelkammer vollgestellt mit dem abgelebten Kram von Generationen.
»Siehst du irgendwo ein Rohr?«, flüsterte ich. Ich weiß nicht, warum ich flüsterte. Dieser Ort hätte auch einen gellenden Hilferuf im Moder erstickt.
»Nein, aber auch keine Überschwemmung. Bei einem Rohrbruch müsste der Keller unter Wasser stehen, sehe ich das richtig?« Die Erleichterung war ihm anzuhören. Er schickte sich bereits zum Rückzug an, da trat ich auf etwas Weiches, auf etwas Organisches. Ich schrie auf und machte einen Satz zurück. »Eine Leiche im Keller …!«, stieß ich hervor, »das riecht nach Verwesung!«
»Ich weiß nicht, was du riechst«, sagte Elmar ungerührt, »aber ich finde, es riecht hier nach unserem Abendessen.«
»Ja, ja, nach Pilzen an Rosinenrahmsoße«, spottete ich, und dann roch auch ich es: eindeutig Champignongeruch. Langsam gewöhnte ich mich an das schwache Licht der trüben Kellerfunzel, und langsam konnte ich optische Details unterscheiden. Was sich für meine Füße wie ein toter Körper angefühlt hatte, erwies sich bei näherer Begutachtung als dichte Pilzkultur. Ich atmete auf. Ha! Der alte Alchimist hatte also hier unten seine geheimen Halluzinogene angebaut, der Schlingel.
»Vielleicht sollten wir eine Probe mitnehmen und morgen bei Tageslicht bestimmen«, schlug ich vor und ließ Elmar den Vortritt. Der zögerte. »Nimm du sie mit, Pilze sind eher Frauensache. Du weißt doch, Hexenringe und so was.«
Männer!, dachte ich, das starke Geschlecht. Aber was soll’s. Kein Rohrbruch, keine Leiche. Das war die Hauptsache.
Am nächsten Morgen erfuhren wir von unserem Nachbarn – die Pfälzerin warf ihrem Gegenüber einen innigen Blick zu –, dass die Stadtwerke das Wasser noch bis Mittag abgestellt lassen würden. Aha, städtische Leitungsarbeiten. War die ganze Aufregung umsonst.
»Siehst du«, frohlockte Elmar, »so einfach ist das Leben. Hab ich dir nicht gleich gesagt …?!«
»Aber der Pilz ist eine Tatsache«, erinnerte ich ihn, »den sollten wir trotzdem bestimmen.«
»Hier, Bruno Cettos dreibändiges Pilzbestimmungsbuch!« Mit einem Griff hatte mein bibliophiler Ehemann unter unzähligen Buchrücken das entsprechende Werk gefunden. Er war wieder in seinem Element. Gespannt beugten wir uns über die Abbildungen, blätterten vor, blätterten zurück und zogen Vergleiche mit dem bröseligen Untersuchungsmaterial vor uns. Da, das war er! Unverkennbar. Merulius lacrymans, auf Deutsch: Tränender Hausschwamm. Nicht genießbar. Schade, aber auch wieder logisch. Genießbare Pilze kann man kaufen, man muss sie nicht im Verborgenen züchten.
Über eine mögliche halluzinogene Wirkung stand bei Bruno Cetto nichts zu lesen. Klar, der Autor ist Sammler, kein Drogist, sagten wir uns und blätterten uns daraufhin durch die 29-bändige Ausgabe der Encyclopaedia Britannica, in der das Wissen der Menschheit auf so wundersame Weise aufgeschlüsselt ist. Da hatten wir ihn auch schon, den Merulius lacrymans oder dry rot , wie die Briten ihn nennen: The most voracious fungus that attacks building timbers unrecoverably … Na ja, das hörte sich nicht berauschend an. Von Bewusstseinserweiterung kein Wort. Dafür einige banale Sätze über sein holzzerstörerisches Wüten und die Maßnahmen zu seiner Vernichtung.
Wir waren fast ein wenig enttäuscht von unserem Apotheker. So eine geheime Psychodelikaplantage im Keller hätte eine fabelhafte Anekdote abgegeben. Andererseits – das Stichwort holzzerstörerisch brachte uns auf einen Gedanken. Der Keller stand bis unter die Decke voll mit Gerümpel ohne Sammlerwert. Irgendwann einmal wollten wir ihn nutzen, und zwar als gepflegten Weinkeller. Wäre es nicht vernünftig, die Entsorgung des ganzen Plunders Mutter Natur zu überlassen, da sie sich nun schon anbot? In ein
Weitere Kostenlose Bücher