Trinken hilft
unsere Prinzessin sich Unbekannten gegenüber bedeckt hält und so lange in ihrem Versteck verweilt, bis das Terrain wieder frei von Eindringlingen ist.
»Kommen Sie mit«, forderte ich Frau Braeligge auf, »mal sehen, wie unsere junge Dame reagiert.« Ich ging ihr voraus ins Arbeitszimmer, wo Sophia zusammengerollt neben meinem Computer schlief. Es war im Februar, draußen herrschte Schmuddelwetter. Katzen hassen das.
»Pralinchen«, flüsterte Frau Braeligge zärtlich und näherte sich behutsam dem schwarzen Fellknäuel.
»Sophia, schau mal, wer uns heute besucht«, schnurrte ich im selben Ton. Es war dieser typische Mutterton, diese weiche, sanfte Stimmlage ohne Kanten und Spitzen, in der alle mütterlichen Menschen zu kleinen Wesen sprechen, egal ob sie Mütter sind oder nicht.
Sophia alias Praline hob ihren hübschen Kopf, Überraschung sprach aus ihren Mandelaugen. Dann jedoch blinzelte sie vertrauensvoll, streckte ihre Pfoten von sich, genießerisch, entspannt, als erwarte sie Aufwartungen von beiden Seiten. Zwei Mütter gleichzeitig? Ihr huldvoller Blick ließ keine Zweifel zu. Sie fühlte sich wohl in unser beider Gegenwart, keinerlei Verwirrung oder Verlegenheit war ihr anzumerken. Warum auch? Zwei Mütter bedeuten doppelten Schutz, was will man mehr? Wir lächelten uns zu, während unsere Hände sich behutsam kraulend in Sophias Fell verloren.
»Du bist mir ja eine Kanaille!«, flötete ich ihr ins Ohr, »gehst seit Jahren fremd, und keiner ahnt was davon, du kleine Fremdgängerin.«
Und Frau Braeligge raunte ihr ebenfalls Liebkosungen zu: »Mein Pralinchen, du hast mir so gefehlt. Hier also lebst du, wenn du nicht bei uns zu Besuch bist. Du bist ja eine ganz Schlaue, was?«
Die drei Kater waren inzwischen neugierig geworden und kamen uns hinterhergeschlichen. Schwupp, schon schickte sich Luigi an, auf den Schreibtisch zu springen, da ließ ihn ein aufgebrachtes Fauchen von Sophias Logenplatz in der Bewegung erstarren und zu Boden plumpsen. Majestätisch erhob unsere Prinzessin eine Pfote gegen die drei Augenpaare, die ihr kampflustig von unten entgegenstarrten .
»Sehen Sie, so läuft das bei uns ab«, sagte ich zu Frau Braeligge und scheuchte die Kater aus dem Raum. »Wenn ich nicht aufpasse, findet Sophia keine Ruhe vor diesen Kraftmeiern. Das ist wohl der Grund, warum sie sich bei Ihnen einen Ausweichplatz gesucht hat. Bist ein kluges Mädchen«, wandte ich mich an unsere kleine Zigeunerin. »Ich nehm dir dein Doppelleben nicht übel. Du darfst dahin gehen, wo du dich wohlfühlst. Katzen dürfen das.« Solcherart besänftigt und bestätigt fand sie zu ihrem inneren Frieden zurück, drehte sich einmal im Kreis und ließ sich dann mit einem Seufzer des Behagens in die Horizontale sinken.
Auch Frau Braeligges Kehle entschlüpfte ein Seufzer der Erleichterung. »Bin ich froh, dass Sie nicht böse sind«, gestand sie dankbar. »Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Mieze verwöhnte, das dürfen Sie mir glauben . Die Tätowierung an ihrem Ohr zeigte mir ja, dass sie jemandem gehörte. Aber sie ist so niedlich. Wer kann einem solchen Wesen schon widerstehen, wenn es hungrig wirkt und sich auf die Kaffeesahne stürzt? Sagen Sie doch selbst!«
Ich nickte ihr zu. »Kaffeesahne, ja, da vergisst sogar diese Prinzessin ihre guten Manieren«, und schon befanden wir uns im klassischen Gespräch unter Müttern: über die Eigenheiten und Vorlieben unseres Schützlings, ihre Klugheit und Kaprizen und unser Umgang mit ihr. Kopfschüttelnd erkannten wir beim Erzählen, wie sich Teilchen zu Teilchen in diesem Puzzle namens »Sophias Welt« fügte und die Lücken füllte, die ihr Doppelleben für die eine wie für die andere Familie darstellte. Als Frau Braeligge sich zum Aufbruch schickte, versicherte ich ihr noch mal meine Gewogenheit, bloß keine Gewissensbisse, eine Katze gehöre niemandem. Eine Katze sei frei und suche sich ihre Gesellschaft nach Belieben, und wir beiden Frauen mögen uns glücklich schätzen, dass Sophia ihre Gunst so großzügig über beide Familien verteile. Das war im Februar.
Der März bescherte uns ungewöhnlich sonnige Tage, beinahe schon sommerlich. Alles, was atmen konnte, strebte nach draußen in die erwachte Natur. Unsere vier Trabanten streiften ihr Winterfell ab, wälzten sich auf der aufgetauten Erde, jagten Vögeln nach und streunten durchs Gelände. Manchmal verschwand Sophia für einen ganzen Tag, manchmal hängte sie auch noch eine Nacht dran. Bald wurden
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