Trinken hilft
Norden bei so viel Licht?
Einige Meter von mir entfernt beschäftigte sich eine Frau im typischen Landganglook, Cargohose von Fjällraven, mit einer zugelaufenen Katze. Als sie bemerkte, dass ich zu ihr hinübersah, rief sie mir etwas zu, was nicht nach einer Fremdsprache klang, aber auch nicht richtig deutsch. Eher so wie deutsch nach dem zehnten Aquavit. Besoffen wirkte sie allerdings nicht. Ich zuckte die Schultern.
»English?«, fragte sie.
»German« , gestand ich. Man weiß ja, dass uns nur die Namibier mögen.
»I’m from Norway« , erklärte sie lächelnd, als verzeihe sie mir meine Herkunft. Auf Norwegisch fiel mir nur Skål ein, einziger Nachhall meines Trinkerführers für Lofotenangler.
»Oh, splendid fishing waters« , kommentierte ich geistesgegenwärtig, um nicht wie ein Stockfisch dazustehen.
»You know it?« S ie strahlte geschmeichelt. Ich nickte und hoffte, dass sie jetzt bloß nicht anfinge, weitere Kenntnisse aus mir hervorzukitzeln. Zum Glück lenkte die Katze sie ab, die ihr gefolgt war. »Sehen Sie sich dieses magere Tier an«, empörte sie sich über die Spanier, die sich offensichtlich nicht um die armen Kreaturen kümmern würden. Dann klärte sie mich über ihre Liebe zu Katzen auf. »Großartige Tiere«, betonte sie, »seit Jahrtausenden von Menschen verehrt, aber auch immer wieder verfolgt.« Bei ihr in Norwegen seien sie mittlerweile die Lieblingshaustiere, Platz eins vor den Hunden. Vielleicht wegen ihrer beruhigenden Wirkung auf den Menschen in dieser hektischen Zeit, was ich ihr gerne glaubte. Obwohl – und nun schmunzelte sie versonnen – sie persönlich könne die beruhigende Wirkung nicht durchwegs bestätigen. Sie selbst habe drei Kater zu Hause, und die hielten sie ziemlich auf Trab.
»Indeed?«, fragte ich. Ich hatte die Vorstellung, Katzen schliefen den ganzen Tag.
»Andere vielleicht«, meinte sie, »aber unsere sind nicht müde zu kriegen. Soll ich Ihnen was erzählen?«
Ich nickte wieder, denn ich wollte mich noch eine Weile hier sitzend ausruhen und die belebende Salzluft genießen. Überdies wirkte die Lady angenehm zivilisiert, sie sprach ein langsames, dialektfreies Englisch, das ich mühelos verstand. Als Wiedereinstieg nach jahrelangem Sprachentzug begrüßte ich die Gelegenheit, mich im Englischen zu üben, und lächelte ihr aufmunternd zu.
»Also gut, es geht um eine Prinzessin«, avisierte sie. »Sie wissen ja, Norwegen ist ein Königreich.«
Ich nickte wieder, und sie kraulte die magere Katze, während sie zu erzählen begann.
Sie war schon vom ersten Tag an eine kleine Prinzessin, unsere Sophia. Zartgliedrig, fein, von nervösem Charakter und wie ihre Mutter aus italienischem Adelsgeblüt. Ihre drei Brüder dagegen kamen mehr nach dem Vater, Mordskerle von athletischer Statur, prächtige Burschen. Man hielt den Atem an, wenn sie durch das Haus stürmten wie Raubritter durch eine Burg.
Da ging es manchmal drunter und drüber zwischen den vier Wänden, während die anmutige Sophia abseits von den brüderlichen Kämpfen hockte und deren Treiben herablassend verfolgte. Brüder! Eine Heimsuchung sind die Kerle, mochte sie dann wohl in ihrem hübschen Köpfchen sinniert haben, womit habe ich solche Rabauken verdient? Nein, nein, es ist wirklich eine Strafe der göttlichen Mutter Natur, dass man sich seine Verwandtschaft nicht aussuchen kann. Und dann stand sie auf, räkelte sich graziös und suchte sich einen beschaulicheren Platz, um sich ungestört ihrer Körperpflege zu widmen.
Bei den Mahlzeiten schlug das Temperament ihrer Brüder am heftigsten durch. Die Kerle waren ewig hungrig. Wenn wir nicht aufpassten, schnappten sie sich gegenseitig die besten Brocken vom Teller oder drängten sich untereinander ins Aus, um sich für einen Moment ganz allein an dem Angebot bedienen zu können. Schimpfen half nichts, denn die Brüder ließen sich davon nicht einschüchtern, ganz im Gegensatz zu Sophia, die auf Misstöne empfindlich reagierte und das Weite suchte.
Mein Mann und ich waren ganz vernarrt in die vier Kindsköpfe. Wir hatten diese zu früh verwaiste Hinterlassenschaft aus einer flüchtigen Beziehung zwischen der koketten Italienerin und ihrem ungestümen Liebhaber an Kindes statt bei uns aufgenommen, weil die Kleinen eine Familie brauchten. Ein Heim, wo sie gedeihen und glücklich sein konnten. Die Verantwortung schreckte uns nicht ab, auch wenn Freunde ihre Bedenken äußerten: »Gleich vier, habt ihr euch das gut überlegt? Ihr werdet ziemlich
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