Trinken hilft
auch. Hilft Trinken wirklich? Jetzt bloß keine existentialistische Krise, nur weil es mir nicht ohne Blessuren gelang, meinem trinkfesten Vorbild Chris aus Jugendtagen nachzueifern! Derselbst, aus uraltem ostpreußischem Geblüt stammend und somit nachhaltig geeicht, brachte es fertig, an einem Abend stoisch einen Kasten Erdinger Hefeweizen zu leeren, um dann gemächlich mit Enzianschnaps fortzufahren, ohne auch nur Ansätze von Schlamperei in Haltung und Rhetorik erkennen zu lassen. Ein Virtuose, neidlos! Nicht jedem ist die Stammtischkonstitution in die Gene geätzt. Viele müssen sie sich Schluck um Schluck erarbeiten. Das verlangt unablässige Übung, und ich war bereit, mich nicht gleich wegen eines harmlosen Katers aus der Bahn werfen zu lassen. Selbstdisziplin ist der Schlüssel zur Tugend, lehrt uns Konfuzius, dessen Weisheit bis heute unübertroffen ist. Ich war hier, um meiner Einsamkeit zu entkommen. Also auf zum Büfett!
Ich machte mich frisch und vermied dabei, in den Spiegel zu schauen. Dann peilte ich den Ausschankservice im Frühstücksraum an, wo ich meinem dehydrierten Kopf erst einmal ein frisch gezapftes Bier gönnte. Ein genussvoller Zug aus dem Glas – gleich fühlte ich mich besser. Geerdet und zugleich von der Erdenschwere befreit, leichtlebiger. Der Tag durfte beginnen. Ich sah mich um. Überall hektische Passagiere in Aufbruchstimmung mit ihren Kameras um den Hals. Schon setzten sie an zum Sprung auf die Gangway, wo sich die Schnellsten bereits als brodelnder Menschenstrom an Land wälzten, um Cádiz zu erleben.
Es empfing sie hier ein Licht, dem man ohne einen kräftigenden Schluck widerstandslos verfallen konnte. Auf der Palette des Malers gibt es keine Farben von hinlänglicher Leuchtkraft, die den blendenden Zauber wiedergeben, den Cádiz an diesem Morgen so unerwartet auch auf mich ausübte. Nur zwei Töne stechen ins Auge, Blau und Weiß. Ein maßloses Blau, eine lautlose Symphonie aus Türkis, Saphir und Kobalt, aus Himmel und Meer. Eine Komposition von erschlagender Unnachgiebigkeit. Als Kontrast ein Weiß in Silber getaucht, wie das Eis arktischer Gletscher, wie der Übergang ins ewige Leben. Diese älteste Hafenstadt an den iberischen Küsten schien allen Glanz einer heroischen Geschichte in sich zu speichern. Ihr Licht stürzte auf mich zu, ich konnte nicht tatenlos dastehen und mich ausradieren lassen. Es zwang mich zum Handeln. Schreien hätte gutgetan, vielleicht auch laut dagegen ansingen, um mich lebendig zu wissen unter diesem Bombardement aus Licht.
Dabei hatte ich mir gestern Abend vorgenommen, den heutigen Tag in aller Ruhe an Deck zu verdösen: ein paar Getränke verkosten und nebenbei vielleicht einen harmlosen Flirt beginnen … was man eben so treibt, wenn man sich erholen, aber nicht langweilen will. Auf keinen Fall Landgang. Spanien ist großartig, man weiß es, wenn man die Alhambra gesehen hat. Aber man muss es nicht übertreiben. Cool bleiben ist das oberste Gebot eines emanzipierten Reisenden. Nur tumbe Pauschaltouristen verlassen ihren stillen Ankerplatz, um beflissen die Sehenswürdigkeiten abzulichten.
Eine Weile blieb ich noch eisern auf meinem Deckplatz hocken und beruhigte meine Sinne mit einem weiteren Bier, aber viel half es nicht. Diese Stadt zog mich magnetisch an. Also gut, sagte ich demütig und holte meinen Ratgeber Nummer 48 aus der Kabine, um nicht ganz orientierungslos an Land zu gehen. Ich erinnerte mich, dass ich diesem Kreuzfahrtführer Stadtpläne der Hafenstädte einverleibt hatte, und das war hilfreich. So gerüstet wagte ich, die Angebote der einheimischen Touristen-Schlepper am Hafen schnöde zu ignorieren und mit der Grandezza des geübten Globetrotters durch das Gelände zu schlendern, als wüsste ich, wohin ich wollte und wie und warum. Früher dackelte ich auf Reisen immer unschuldig hinter Lena her. Sie hatte überall sofort den Überblick und war froh, wenn ich ihr die Verantwortung überließ, ohne zu murren. Ich murrte höchstens, wenn sie zu viel Kultur zwischen mich und den ersten Cappuccino schob. Aber das lag eine Ewigkeit zurück. Nun musste ich mich alleine bewähren.
An einer Mole wurde es allmählich einsamer. Keine Händler mehr und keine Schlepper, nur noch vereinzelte Angler und Hundehalter, die ihre Nase der Seeluft entgegenstreckten. Ich setzte mich zum Verschnaufen auf einen Stein, blätterte in meinem Taschenbuch nach Tipps, die ich einst selbst verfasst hatte, und rang um Orientierung. Wo war hier Süden, wo
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