Trinken hilft
angehängt sein.« – »Ach was, das geht in einem Abwasch«, war unsere Meinung dazu. Es sei doch traurig, wenn man die Geschwister auseinanderreißen würde. Trotzdem waren wir uns einig darüber, dass man unsere Prinzessin, dieses Federgewicht, vor der Gefräßigkeit und dem Übermut ihrer Brüder schützen müsse. Also ließen wir ihr unbemerkt von Luigi, Marcello und Giancarlo heimliche Zwischenmahlzeiten zukommen, steckten ihr liebevoll servierte Leckerbissen zu, sobald die Luft rein war, und gewöhnten unsere Diva dadurch so sehr an eine Extrawurst, dass sie alles andere als widerstandsfähig wurde.
Die Verwöhnung erstreckte sich schließlich auf alle Lebensbereiche. Beim Fernsehen hockte sie bereits auf meinem Schoß, kaum dass ich die Fernbedienung in die Hand genommen hatte, und von diesem privilegierten Platz wich sie nicht eher, als bis wir uns zum Schlafengehen erhoben. Dann stiegen wir ins Bett, und wer erwartete uns bereits unter den Daunendecken verborgen? Sophia mit dem Unschuldsblick. Stets war sie als Erste im Familienbett, um sich den besten Platz zwischen mir und meinem Mann zu sichern. Von dort blinzelte sie selbstbewusst ihren Konkurrenten entgegen, falls jene die Dreistigkeit haben sollten, sich ebenfalls zu uns kuscheln zu wollen. Und die hatten sie. Ermattet von den Abenteuern eines langen Tages steuerten die drei Hitzköpfe nachts die Nestwärme unseres Familienbettes an, wo sich ihre Atemzüge in den Rhythmus der unsrigen mischten und sie sich an unsere Rücken geschmiegt mit unseren Träumen vereinten.
Manchmal kam es vor, dass mein Mann und ich aus beruflichen Gründen für ein paar Tage verreisten. Klar, die Brötchen für eine sechsköpfige Familie wollten verdient werden. Dann kümmerte sich eine Freundin der Familie um unsere Trabanten, oder eine Nachbarin. Mal die eine, mal die andere. Aber keiner konnten wir ein solches Theater um unsere Schützlinge zumuten. Das ist der Haken bei einer verwöhnenden Erziehung: Man findet keinen, der einen darin lückenlos ersetzt. Da hieß es dann für die Zöglinge Abstriche machen. Die Brüder kamen damit klar, keine Frage. Sie waren robust, sie setzten sich durch. Das Nachsehen hatte unser feinsinniges Prinzesschen. Ohne den gewohnten Geleitschutz fühlte sie sich in die Enge getrieben und entfloh den häuslichen Verhältnissen so gut es ging in die Nachbarschaft, bis wir die kleine Streunerin nach unserer Rückkehr wieder reumütig verhätschelten.
Eines Tages läutete es an der Haustür. Eine fremde Person stellte sich als Nachbarin vor, Maybritt Braeligge sei ihr Name. Sie wohne unterhalb unseres Hauses jenseits des verwilderten Wäldchens, keine zweihundert Meter von uns entfernt. Die Laubbäume zwischen unseren Häusern sind im Sommer ein dichter Sichtschutz, da bekommt man nichts voneinander mit. Im Winter sieht man zwar die beleuchteten Fenster zwischen den entlaubten Bäumen schwach durchscheinen, aber jeder ist froh, wenn er nicht in die Kälte hinaus muss. Deshalb hatte es sich nie ergeben, dass man sich kennenlernte. Um ehrlich zu sein: Mein Mann und ich waren auch zu beschäftigt mit unserem Jungvolk, als dass sich unsere Aufmerksamkeit auf die Nachbarn erstreckt hätte.
Frau Braeligge zog ein Foto aus der Tasche. »Kennen Sie diese junge Dame«, fragte sie und hielt mir das Bild hin. Das schwarze Fell, der weiße Brustfleck, die grünen Mandelaugen, das herzförmige Köpfchen …
»Ja, das ist unsere Sophia«, antwortete ich verblüfft. »Woher haben Sie die Fotografie?«
»Ach, das ist nicht die einzige. Wir haben unzählige davon. Seit Jahren besucht uns die süße Praline fast täglich, sobald das Wetter wärmer wird und wir uns regelmäßig auf der Terrasse aufhalten. Jetzt wollte ich doch mal erfahren, wo sie hingehört. Denn im Winter vermissen wir sie sehr, da scheint sie woanders durchgefüttert zu werden.«
»Praline heißt sie bei Ihnen – hört sie denn auf diesen Namen? Seit Jahren, sagen Sie?« Ich konnte es nicht fassen. Unser verhuschtes Sorgenkind führte ein Doppelleben, und wir hatten nichts davon gemerkt. Jetzt musste ich mich erst mal setzen. Ich bot Frau Braeligge eine Tasse Kaffee an. Schon bald gesellten sich Luigi, Marcello und Giancarlo zu uns, streiften neugierig um meine Nachbarin herum, wetteiferten um ihre Gunst. Das machen sie immer bei Gästen, sie wollen jeden Besucher für sich gewinnen, so sind unsere Kater nun mal. Distanzlos biedern sie sich an, von ihrem Charme überzeugt, wohingegen
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