Trinken hilft
hatten, war dieses Pils denn auch meine erste Amtshandlung an Bord.
Cádiz verschwand derweil wie eine Schimäre langsam hinter dem Horizont. Dreitausend Passagiere verteilten sich wieder über die Decks, um sich nach dem Landgang für den Rest des Nachmittags bei Sport, Spiel & Spaß zu erholen. Das Gehabe von Männern mit Anglermützen, die Tontauben schossen, störte mich bei meiner Siesta. Kopfschüttelnd ging ich ein Deck weiter. Dort wurde eine Spaßolympiade ausgetragen: Kür der schönsten Männer- und Frauenbeine. Der erste Preis für Männer ging an einen schimpansenhaft behaarten Österreicher mit Ballonwaden. Solche Slalomschenkel sollte man besser in der Skihose lassen. Aber die Damen waren von seiner dämonischen Muskulatur hingerissen. Die Kür der von Besenreisern marmorierten Frauenbeine ersparte ich mir.
Auf dem großen Sonnendeck vorne am Bug des Schiffes brutzelten fast nackte Menschen in Öl, ich hätte sie lieber nicht so entblößt sehen wollen. Hatten die noch nie in den Spiegel geschaut? Ihr Anblick erinnerte an den Katastrophenfilm The Day After – verbrannte Menschen nach einem Strahlenunfall. Viel Arbeit für den Pathologen, keine Frage. Ich war zahlender Passagier, kein Pathologe. Natürlich verhutzeln wir alle unter dem Zahn der Zeit. Wir können den Verfall nicht aufhalten, aber wir sollten ihn nur in einem Naturkundemuseum zur Schau stellen, ist meine Meinung. Es gruselte mich, und ich verdrückte mich an einen weniger deprimierenden Ort, die schattige Samoa-Bar auf Deck 11.
Sie war nur spärlich besucht von einigen Trinkern am Tresen sowie vereinzelten Paaren im pflegebedürftigen Alter, aber wenigstens flächendeckend bekleidet. Ein Pianist klimperte in sich versunken Five o’clock-Musik in geradezu submariner Langsamkeit vor sich hin. Ob ihn jemand wahrnahm, war nicht zu erkennen. Ich gesellte mich zu den Trinkern an den Tresen und ließ mir mein lang ersehntes Pils zapfen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich ein urzeitlich anmutendes Ehepaar, das neben dem Pianisten festgefroren schien. Sie von gallertartiger Masse, in gellendes Pink gepresst und über zwei Stühle verteilt, er ein Koloss im Hawaii-Look mit lackschwarzem Toupet. Beide glotzten mit stierem Blick aneinander vorbei, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Aufgrund ihrer absoluten Regungslosigkeit hielt ich sie anfangs für Attrappen, den Prototyp des aufmerksamen Musikhörers darstellend. Vielleicht auf Wunsch des Pianisten als Vorbilder installiert, vielleicht ein Kunstwerk von Niki de Saint Phalle. Ich täuschte mich. Er kratzte sich nach zehn Minuten am Kinn. Also doch kein Kunstwerk. Die Trinker am Tresen verfolgten ein lautloses Formel-1-Rennen auf dem Bildschirm über der Bar. Geradezu klassisch. Ein Bier, eine Sportübertragung – mehr brauchen Männer nicht. Den übrigen Zirkus hätte man sich sparen können.
Obwohl, wenn ich ehrlich bin – fehlte da nicht doch noch etwas? Ich hatte diese Kreuzfahrt nicht unternommen, um tagelang Bier zu schlürfen und Autorennen zu glotzen. Das hätte ich auch daheim in meiner Eremitage haben können. Ich hatte mir diese Reise verordnet, um Puppen kennenzulernen. Zum Vögeln war ich hier. Drei Nächte hatte ich bereits in meinem Luxusbett alleine verbracht, irgendetwas war da gewaltig schiefgelaufen. Es wurde langsam Zeit für ein Erfolgserlebnis.
Nach dem Dinner vertrat ich mir noch ein wenig die Beine an Deck, ich brauchte frische Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen. Zu viele Getränke und diese dramatische Story über Katzen und Frauen, diese katzenartigen Wesen, die mir immer mehr zu einem Rätsel wurden, anstatt schlicht und gemütvoll meine Sehnsucht nach befriedigender Zerstreuung zu stillen. Ich erwartete doch nichts Ungebührliches. Schlanke Beine in Netzstrümpfen, Titten, die der Schwerkraft trotzten, einen gastfreundlichen Knackarsch und eine Zunge, die anstatt zu schnattern einfach mal auf den Saugmodus umschaltete. War das zu viel verlangt? Als hätte das Universum meine Bestellung registriert, traf ich an der Reling auf eine Vollblutlolita, die genau meinen bescheidenen Fantasien entsprach. Zwar keine Netzstrümpfe, dafür Nuttenstilettos, knallenge Jeans, nabelfrei, Lippen wie Sofakissen und ein Dekolleté, das mir das Blut in die Lenden schießen ließ. Wie kam so ein Juwel auf dieses schwimmende Altersheim? Sie qualmte eine Zigarette und träumte ihren Rauchkringeln hinterher.
»Haben Sie Feuer?«, pirschte ich mich an sie heran, und als sie mir
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