Trinken hilft
beförderte, einer antiken Straßenbahn, mit der man die legendäre Tram-Tour durch die Altstadt machen kann. Lissabon zu beschreiben erspare ich mir in aller Bescheidenheit. Man vertieft sich besser in die Romane von Tabucchi, Antunes oder Mercier, wenn man etwas über den morbiden Charme dieser von Erdbeben, Großbränden, kolonialem Größenwahn und Diktatur gebeutelten Hauptstadt erfahren will.
Nur so viel sei gesagt: Ihr Reiz liegt im Detail, nicht in spektakulären Monumenten. Zwischen Verfall und Anmut speichert sie eine verträumte und zugleich beharrliche Lebenskraft in Moll, ihr Tempo ist ein adagio animato , kein allegro appassionato wie bei den spanischen Stierkämpfern von nebenan. Die Bewohner zeichnen sich durch ihre geduldige Liebenswürdigkeit aus im Gegensatz zur Arroganz manch anderer Hauptstädter. Und das Beste: die Kaffeehäuser. Manche rösten die Kaffeebohnen an Ort und Stelle, deren Duftpatina die polierten Mahagoniwände tränkt, dass es einem die Sinne raubt. Man wählt zwischen exotisch klingenden Sorten seine ganz individuelle Mischung, schaut zu, wie die Bohnen gemahlen werden, fühlt sich im Himmelreich der Aromen und weiß nach dem ersten Schluck, wofür sich das Leben lohnt.
Im Café Brasileira, eine englische Tageszeitung vor mir aufgeschlagen, trank ich mich durch zahllose Tassen dieses herzhaften Gebräus und mutierte dabei zum heimlichen Befürworter des Kolonialismus. Ich war nicht der Einzige. Das Café entschädigt die Portugiesen für ihr verlorenes Weltreich und offensichtlich auch manchen Kreuzfahrtflüchtling für die aufgeregte Zwangszerstreuung an Bord. Ein Herr von teutonischer Erscheinung, also einen Kopf größer als die Portugiesen und weniger formell gekleidet, fragte mich auf Deutsch, ob der Platz neben mir noch frei sei. Anscheinend erkannte er in mir sofort den Landsmann. Ich empfand das als Niederlage. Schon abartig. Ein Italiener hätte sich in operettenhaften Begeisterungsbekundungen ausgelassen, ein Grieche gar seine Schwester als Braut angeboten… So viel zum Nationalstolz. Aber ich blickte nur betroffen von meiner Zeitung hoch.
Woran erkennen sich Deutsche? Ich hatte weder Bierbauch noch Sonnenbrand, trage keine Karohemden und kein am Handgelenk festgeschweißtes Handtäschchen. Jedenfalls kamen wir ins Gespräch, die gemeinsame Muttersprache im Ausland hat etwas Zwingendes. Mein Landsmann Konrad stammte vom selben Schiff wie ich, das verbindet, als habe man nebeneinander im Schützengraben gelegen. Ich erfuhr, dass seine Frau mit dem Kind zum Kastell gefahren sei, um dem Kleinen ein Erlebnisprogramm zu bieten, denn ein Altstadtbummel oder Kaffeehausbesuch sei mit so einem Bub eine Qual; dauernd quengle er und verlange alle zehn Minuten nach einem Eis. Man wisse ja, wie belastend Kinder in Städten seien.
Ich nickte, auch wenn ich es weder wusste noch wissen wollte. Wir kamen auf den vermissten Jungen zu sprechen, und ich äußerte meine Zweifel, ob Kreuzfahrten generell für Kinder geeignet seien. So ein Schiff sei doch wie ein abschüssiger Gipfel, nach allen Seiten hin lebensgefährlich. Müsse man da die Kinder nicht dauernd im Auge behalten?
Konrad wischte meine Bedenken vom Tisch. »Ach wissen Sie, auf diesen Luxuslinern ist für jedes Alter gesorgt. Für die Kleinen gibt es den Miniclub, für die Größeren den Teenie-Club, und für die Null-Bock-Generation zwischen fünfzehn und achtzehn gibt es den Super-Teenie-Club.« In diesen Clubs würden die Kids zwölf Stunden lang professionell beschäftigt und bewacht, sicherer gehe es nicht. Nur nachts seien die Eltern in der Pflicht. Und selbst da könne man für die Kleinen einen Babysitter mieten, falls man auf die Piste wolle. Ein Dreizehnjähriger wehre sich natürlich gegen einen Baby sitter, verständlich. Der wolle in Ruhe seine Action-DVDs glotzen, bis die Eltern eintrudeln. »Also, wenn Sie mich fragen, für mich ist so eine Kreuzfahrt die einzige erholsame Art von Familienurlaub.«
Ich erinnerte mich an die Urlaube auf dem Bauernhof, die meine Eltern mit mir im Grundschulalter unternommen hatten. Grenzenlose Freiheit für uns Kinder, keiner betüddelte uns mit einem pädagogischen Animationsprogramm. Abends fielen wir verdreckt und todmüde ins Bett, und das Wort Babysitter war noch nicht im Umlauf, wenn unsere Eltern sich auf eine Polka zum Schützenfest abseilten. Als ich Konrad davon berichtete und auch davon, wie selbstbestimmt und erwachsen wir Kinder uns damals fühlten, wurde er
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