Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
Vom Netzwerk:
Beleuchtung erinnerte mich an einen Obduktionsraum und gab mir ein Gefühl von Professionalität. Ich steckte drei stabile Einkaufstüten ineinander, holte einen Fleischklopfer und hieb damit auf das schwarze Objekt inmitten des ätzenden Breis ein, der den Boden der Badewanne für immer stigmatisieren würde. Das zerquetschte Gedärm vermischte sich mit dem Chemikalienbrei und färbte ihn dunkel, ich riss mir den Mundschutz vom Gesicht und übergab mich in die Toilettenschüssel. Dann klingelte das Telefon.
    Reflexartig taumelte ich in die Diele, um abzuheben. Wer allein lebt, kann es sich nicht leisten, das Telefon zu ignorieren. Vor allem, wenn er auf einen Nervenzusammenbruch zusteuert. Es war eine Umfragedame irgendeines Info-Instituts, sie hatte keine Freude an mir. Denn als sie ihr Sprüchlein aufsagte, kitzelte etwas meinen Unterschenkel hinab, vielleicht waren es nur Schweißtropfen, keine Ahnung. Aber es fühlte sich an wie eine krabbelnde Spinne. Ein markerschütternder Schrei war das Einzige, was die Dame von mir hörte, dann fiel der Hörer zu Boden. Inzwischen kitzelte es überall, am ganzen Körper. Es konnte nur der Schweiß sein, aber ich musste es kontrollieren, wenn ich nicht kollabieren wollte. Draußen tobte das Gewitter, die Luft war geladen mit Elektrizität, und ich trank eine halbe Flasche Whiskey im Stehen aus, während ich mich aus der Polarkleidung schälte, meine Hautfalten vor dem Spiegel nach Tieren inspizierte, aber nichts Verräterisches fand.
    Trotzdem imprägnierte ich mich nun von Kopf bis Fuß mit Teebaumöl, bevor ich mich aufs Neue verhüllte. Berauscht von Schnaps und Tötungswahn schaufelte ich den Sumpf aus der Badewanne mit Unmengen Küchenpapier in die Plastiktüte, brachte das Ganze in den Hinterhof zu den Mülltonnen, wo ich es abfackelte und völlig apathisch daneben eine Zigarette rauchte. Einige Hausbewohner beugten sich aus den Fenstern und starrten mich seltsam an. Ein Außerirdischer hätte nicht mehr Aufsehen erregen können als ich in meiner Polarausrüstung an diesem schwülen Gewitterabend. Egal, ich würde sowieso kündigen. Ich konnte in dieser Wohnung nicht mehr leben. Ich konnte die Badewanne nicht mehr benutzen. Sie war verseucht, von behaarten Spinnenbeinen berührt.
    Am nächsten Tag meldete ich mich krank und beruhigte meine Nerven mit Flüssigem. Zum Duschen ging ich ins Städtische Volksbad, bis ich eine neue Wohnung gefunden hatte. Eine neue Wohnung im zwanzigsten Stock eines Hochhauses. Man möchte meinen, nun hätte ich aufatmen können. Aber ich befand mich nicht mehr im Zustand der Unschuld. Ich hatte einmal dem Grauen ins Antlitz gestarrt, und ich wusste, dass es jederzeit wieder passieren konnte. Man kann nicht vergessen, was man vergessen will. Überall, selbst in Hochhäusern, könnte er wieder passieren. Der GAU. Der größte arachnide Unfall. Jeden Tag, sobald ich meine Hochhauswohnung aufschloss, schnellte mein Puls auf 150, und die Beklemmung krabbelte mir die Beine hoch.
    »Du bist paranoid«, sagte meine Mutter und empfahl mir, einen Kurs gegen Spinnenangst zu besuchen. Der Kursleiter in der Volkshochschule arbeitete mit lebendem Material. Die Angst säße nur in unseren Köpfen, behauptete er, sie sei ein Produkt unserer Einbildung. Denn das Tier selbst sei absolut harmlos, ja sogar nützlich und ästhetisch, ein Wunder der Schöpfung. Um uns von der Ungefährlichkeit der gefürchteten Wesen zu überzeugen, nahm er das Anschauungsobjekt aus der Dose und setzte es sich auf den nackten Unterarm. Ein Stöhnen stieg aus den Reihen auf, Beklemmung packte uns. »Bleiben Sie entspannt«, raunte er eindringlich wie ein Hypnotiseur, »Sie sind fasziniert von diesem Kunstwerk, fas-zi-niert .« Dieses Wort wiederholte er mit seiner suggestiven Stimme, während er anfing, langsam die Reihen des besetzten Kursraumes abzuschreiten. Es war sehr still zwischen unseren Köpfen, die sich fas-zi-niert nach dem hochexplosiven Unterarm drehten. Es war die Stille vor dem Sturm, jedenfalls für mich. Denn als sich die Bombe eines Unterarms bis auf zwei Schritte meiner Schulbank näherte, zündete etwas in meinem Hirn, und ich wurde von einer inneren Detonation aus dem Raum geschleudert, in den Gang, durch das Treppenhaus hinunter ins Freie, wo ich zitternd zum Stillstand kam.
    Nein, ich war nicht fas-zi-niert . Die Gehirnwäsche dieses Psychofritzen griff bei mir nicht. War ich erleichtert von dieser Erkenntnis? Nicht unbedingt. Mein Problem bestand ja fort.

Weitere Kostenlose Bücher