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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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Schon wegen meiner diversen Allergien, aber auch mangels Interesse an der belebten Materie. Die einzige Jahreszeit, in der ich mehr als die paar Schritte zum Arbeitsplatz unter freiem Himmel verbringe, ist der frostklirrende Winter in seiner Reinheit.
    Wie es der Teufel wollte, fand mein alter Herr Gefallen an unserer tüchtigen Zugehfrau. Zweimal die Woche genügte ihm nicht mehr, er wollte sie jeden Tag um sich haben und bald auch nachts nicht entbehren. So nahm das Schicksal seinen Lauf. Für ihn, den Glücklichen, aber auch für mich, den abermals Überflüssigen. Mit 35 Jahren zog ich zum ersten Mal in eine eigene Wohnung, ganz allein. Die erste eigene Wohnung – manche behaupten, das sei ein unvergessliches Ereignis, das sei das Freiheitserlebnis schlechthin für jeden Menschen. Ich kann das nicht unterschreiben. Von Freiheit keine Spur. Es sei denn, man fühlt sich frei, wenn man von aufgewärmten Dosensuppen lebt und am Feierabend beim Bügeln Selbstgespräche führt. Oder völlig unvorbereitet von einem achtbeinigen Ungeheuer heimgesucht wird.
    Da stand ich über die Badewanne gebeugt, ein Gefangener meiner Schreckstarre, als würden mir 220 Volt durch die Nervenbahnen gejagt, und keine Menschenseele in der Nähe, die den verhängnisvollen Stromkreis unterbrechen würde. Die Spinne musste meinen Angstschweiß gerochen haben. Das aktivierte ihren Fluchtinstinkt und ließ sie unvermutet durchstarten, weg von mir, egal wohin, Hauptsache, weg von mir. In diesem Punkt waren wir uns sogar ebenbürtig. In Panik vereint, auf klaustrophobe Weise schicksalhaft miteinander verstrickt. Sie war in mein Territorium eingedrungen, das kam einer Kriegserklärung gleich. Da gab es kein Entrinnen, auch wenn sie sich nach Kräften abmühte, auf der gegenüberliegenden Seite die glatte Badewanne hochzuklettern. Da hieß es nur Sieg oder Tod.
    Woher war sie überhaupt gekommen? Aus dem Abfluss? Auch egal. Ich durfte sie nicht entkommen lassen. Wenn sie entkäme, und sei es durch den Abfluss, bliebe sie am Leben und für mich eine immerwährende Bedrohung. Zu wissen, dass sie mich von ihrem Versteck aus heimlich beobachtet, wenn ich dusche, dass sie womöglich nur wenige Zentimeter von mir entfernt unter dem Stöpsel des Abflusses kauert und darauf lauert, dass ich mein Vollbad beende, um mich dann aus dem Hinterhalt zu überfallen, wäre mein Ende. Sie oder ich, einer von uns musste sterben, und ich wusste auch schon, wer. Ich war der, der am Ende der Nahrungskette steht, und sie war nur ein abscheuliches Es . Als ahnte sie meinen Entschluss, raste das Monster wie von Sinnen immer wieder gegen die Nordwand der Badewanne an, rutschte ab, nahm einen weiteren Anlauf, immer wieder, ohne Erschöpfung zu zeigen. Es soll Menschen geben, die sich freiwillig Spinnen halten. Man sollte sie behandeln. Angewidert beobachtete ich die Fluchtversuche dieser urtümlichen Kreatur. Und gleichzeitig berauscht von Mordlust. Ich würde mein Hoheitsgebiet verteidigen mit allen Mitteln, welche die Schöpfung mir in die Hände gespielt hatte. Womit also?
    Ohne die Bestie ganz aus den Augen zu lassen, sah ich mich kampfbereit im Badezimmer um. Ein Feuerzeug wäre hilfreich, überlegte ich, dann könnte ich sie mit einem Knäuel aus brennendem Klopapier verbrennen. Aber im Bad war kein Feuerzeug. Dafür Rasierwasser. Ich kippte die Flasche Aftershave zur Gänze über das krabbelnde Objekt, einen Moment verharrte es benebelt vom Alkohol, aber dann strampelte es umso besessener um sein Leben. Auch für mich gab es jetzt kein Halten mehr. Ich griff, was gerade in Reichweite war, leerte eine Flasche Flüssigseife, eine Tube Haarfestiger und Rohrfrei über das grausige Wesen, das in dem Sumpf noch ein paar erlahmende Zuckungen schaffte und dann zusammengerollt zum Stillstand kam. Sie war nicht mehr zu erkennen.
    Schon wollte ich die Dusche aufdrehen, um diesen Tatort hinunterzuspülen, da kamen mir Zweifel. Wenn der Feind sich nur tot stellte? Die Wirbellosen sind Überlebenskünstler. Es gibt sie seit Jahrmillionen, das weiß jedes Kind. Der Abfluss bot keine finale Gewissheit. Ich musste das Ding atomisieren und dann verbrennen, wenn ich mich von diesem Alptraum restlos befreien wollte. Ich zog mir mehrere Schichten Kleidung über, wie für eine Polarexpedition, um gegen jeglichen Hautkontakt mit dem kontaminierten Gelände gerüstet zu sein. Dazu Gummihandschuhe, Sonnenbrille, Wollmütze, Mundschutz. Ich schaltete alle Lampen an; die schattenlose

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