Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
Vom Netzwerk:
ganz blass. »Bauernhof, das wäre mein Untergang«, stammelte er. »Dort wimmelt es vor Spinnen. Ein Schiff ist der einzige Platz, wo ich mich mit meiner Familie entspannen kann. Auf einem Luxusliner gibt es definitiv keine Spinnen.«
    »Sind Spinnen so ein Problem für Sie?«, fragte ich überrascht. Ich fand, er sah ziemlich normal aus.
    »Problem ist milde ausgedrückt«, gab er zu. »Ich habe eine Phobie. Schon die mutmaßliche Gegenwart einer Spinne treibt mich in den Wahnsinn. Sie können sich nicht vorstellen, wie das mein Leben belastet.«
    »Ich dachte, das gäbe es nur bei Frauen«, meinte ich verwundert, worauf er beschämt antwortete, das habe er auch gedacht, bis er zum ersten Mal einer Spinne gegenüberstand. »Wollen Sie wissen, was dann geschah?«
    Das Thema war mir nicht ganz fremd. Wegen Lena. Mich persönlich stören Spinnen nicht im Geringsten. Sie bellen nicht, müssen weder Gassi geführt noch gegen Tollwut geimpft werden. Lena allerdings wurde immer etwas unbehaglich zumute, wenn eine besonders fette Spinne an der Wand über dem Bett klebte. Einfach aus dem Fenster entsorgen duldete sie nicht, weil Spinnen angeblich wieder zurückkämen, sogar über eine Entfernung von einem Kilometer. Also musste ich das harmlose Ding in einem Glas mit Schraubverschluss einfangen und mit der Straßenbahn zum Stadtpark fahren, fünf Stationen weit, um es im Grünen auszusetzen.
    »Ja, erzählen Sie, was geschah«, sagte ich, neugierig geworden, und Konrad holte tief Luft.

    Es war gegen sieben Uhr abends an einem schwülen Junitag, als ich nach der Arbeit meine Wohnung betrat. Gerade noch rechtzeitig, bevor draußen ein Gewitter losbrach. Das näher rückende Donnergrollen hatte mich auf meinem Heimweg hastig vorangetrieben, zum Schluss war ich sogar gerannt, und nun klebten mir die Klamotten auf der verschwitzten Haut. Ein Königreich für eine Dusche!, war mein einziger Gedanke. Ich riss mir das Hemd bereits in der Diele vom Leib, denn ich hasse Schweiß. Vielleicht habe ich mich deshalb für den Beruf des Pathologen entschieden. Als solcher kann man seiner Arbeit in kühlen Räumen nachgehen, inmitten von Leichen, die ebenfalls alles Schweißtreibende hinter sich gelassen haben. Manche ekeln sich vor diesem Beruf. Aber ich fühle mich wohl bei den starren Körpern, von denen nichts Bedrohliches mehr ausgeht, nichts Animalisches, Unkontrollierbares.
    Auf dem Weg ins Badezimmer entledigte ich mich meiner Hose und Unterhose, die Socken waren flugs abgestreift, und schon wollte ich ein Bein über den Badewannenrand schwingen, als ich mitten in der Bewegung versteinerte. Meine Atmung setzte aus. Meine Augen bohrten sich auf den Grund der Wanne, auf ein Objekt, das ich in meiner Eile um ein Haar zerquetscht hätte. Schwarz auf weiß hockte da ein Riesenapparat, eine fette Spinne. Ihr Anblick ließ mein Blut gefrieren. Es war meine erste Spinne in 35 Lebensjahren, meine erste arachnide Selbsterfahrung. Keiner hatte mich je gewarnt, keiner mich auf diesen Schock vorbereitet. Wie konnte das passieren?
    Natürlich hatte ich schon Spinnen gesehen, in Büchern, in Filmen, vielleicht auch in Spinnennetzen draußen an Wänden, an denen ich gedankenverloren vorbeiging. Aber das war nicht live, das war Kulisse, das hatte nichts mit mir zu tun. Ich wohnte bis acht Monate vor dieser Premiere in der Schutzzone des Elternhauses. Meine Mutter nimmt Sauberkeit sehr ernst, fast möchte ich sagen, sie hat einen Putzfimmel. Jedenfalls hat mich daheim niemals, niemals auch nur die Ahnung einer Spinne gestreift, denn Mutter trachtet allem, was mehr als zwei Beine hat, mit tödlichen Chemiekeulen nach dem Leben. Vielleicht habe ich von ihr meine Affinität zum Tod übernommen, natürlich unbewusst, wer weiß?
    Vielleicht hätte ich niemals erfahren, in welche Abgründe mich eine Spinne stürzen kann, wenn meine Mutter sich nicht in einen neuen Mann verliebt und daraufhin meinen Vater und mich aus dem Haus getrieben hätte. Wir zwei Heimatvertriebenen bezogen gemeinsam eine neue Wohnung und engagierten eine Putzfrau für zweimal die Woche, um unseren Männerhaushalt einigermaßen in Ordnung zu halten. Diese Emma nahm ihr Amt sehr genau. Auch unter ihrer Ägide war nirgendwo ein Spinnennetz, nicht einmal eine Stubenfliege zu sichten. Nun gut, es war Winter. Gibt es da überhaupt Insekten? Ich weiß es nicht. Ich kannte Insekten nur von Abbildungen. Der Natur begegne ich misstrauisch, deswegen versuche ich sie weiträumig zu umgehen.

Weitere Kostenlose Bücher