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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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nachgegeben. Nachts, in der Geborgenheit ihrer lenkenden Taxifahrerarme, blind wie ein Insekt, habe ich die Gesetze der Natur erfüllt, ohne darüber nachzudenken, was dabei herauskommen würde. Schorschi kam dabei heraus, acht Pfund schwer und 55 Zentimeter lang, ein strammer Junge, der Augenstern seiner Eltern.
    So ein kleiner Irrwisch ist was äußerst Lebendiges. In einer sterilen Dreizimmerwohnung hält man es mit ihm nur mühsam aus. Man muss raus, damit er sich auf dem Spielplatz und auf der grünen Wiese austoben kann und müde wird. Doch wenn man nicht aufpasst, hat der Knirps einen schwarz schillernden, zappelnden Käfer zwischen den Fingern und sagt sein erstes Wort: Auto! Ich würgte, Thea packte den Kleinen und versuchte, ihm den Käfer wegzunehmen, aber man glaubt nicht, welche Kraft bereits in einer Kinderhand steckt. Nicht ums Verrecken wollte Schorschi seinen Fund loslassen. Es gab ein Mordsspektakel, die Mamas und Papas in Schallnähe maßen uns mit vorwurfsvollen Blicken, als wären sie Zeugen einer Kindesmisshandlung. Thea gelang es schließlich nur mit Gewalt, den Käfer von Schorschis Hand zu kratzen, während ich mich in den Papierkorb übergab. Auf diesem Spielplatz brauchten wir uns nicht mehr sehen zu lassen.
    Was schlimmer war: Das Erlebnis hatte Schorschis Neugier geweckt und wahrscheinlich auch seinen Trotz. Jedenfalls lockte ihn seitdem keine Schaukel mehr, keine Rutsche, nur noch das, was der Boden an Autos hergab. Käfer, Würmer, Heuschrecken und … ich wage es kaum auszusprechen, ohne dass sich mir die Haare sträuben … Spinnen.
    »Reiß dich zusammen«, zischte mich Thea an, wenn ich angewidert vor Schorschi zurückwich, sobald sie mit ihm von draußen reinkam. Ich gebe es zu, ich konnte das Kind nicht mehr anfassen. Ich sah überall die Spuren des zerquetschten Ungeziefers auf seiner Haut, selbst wenn er friedlich und frisch gebadet in seinem Bettchen schlummerte. »Durch deine Reaktion machst du das Thema für ihn erst interessant«, warf Thea mir vor. »Du musst gleichgültig bleiben, dann verliert es auch für ihn seine Bedeutung.« Gleichgültig bleiben! Als wäre diese irrationale Abscheu eine Frage des Willens, das wusste sie doch. Ach Frauen! Es ist kein Verlass auf ihre Loyalität, sobald sie Mütter sind. Im Ernstfall ergreifen sie die Partei des Kindes.
    Mittlerweile ist der Bengel sechs Jahre alt, der umtriebigste Bub in unserer Straße. Bei jedem Wetter zigeunert er draußen herum, von mir hat er das nicht. Ich hätte damit rechnen sollen, denn man kennt doch die Taxifahrerinnen. Vagabundinnen sind sie, immer auf Achse. Thea fährt wieder Taxi, seitdem der Lümmel eingeschult wurde. Sie sagt, sie brauche Gesellschaft, Menschen, Abwechslung, sie gehe sonst vor die Hunde.
    »Und was ist mit mir?«, frage ich, sobald ich von der Arbeit nach Hause komme und sie nach dem Autoschlüssel greift, bereit für die Abendschicht.
    »Du bist erwachsen, du bist der Vater, stell dich nicht so an«, muss ich mir sagen lassen, und schon flitzt sie davon.
    Kürzlich hat es der Rotzbub geschafft, an Thea vorbei eine Beute in die Wohnung zu schmuggeln. Ich saß vor den Abendnachrichten, nichts Böses ahnend, nur etwas müde und froh, dass der Racker sich selbst beschäftigte. Schon wollte ich mir den Tatort reinziehen, da befiel mich ein ungutes Gefühl. Es war so still im Kinderzimmer. Ich spähte durch die Tür. Vielleicht erwartete ich, dass Mamas Liebling über seiner Eisenbahn vom Schlaf übermannt worden war. Von wegen Eisenbahn! Von wegen Schlaf! Konzentriert wie ein Pathologe über seinem Obduktionsobjekt hockte er auf dem Boden und beugte sich über … eine … Spinne ! Eine lebendige Spinne, deren Fluchtbemühungen er mit seiner Hand stoppte. Ich war so perplex, dass ich mich ein paar Sekunden lang nicht vom Fleck rühren konnte. Ich war zur Salzsäule erstarrt. Erst als mich dieser Satansbraten bemerkte und seine beiden Hände schützend um die Spinne legte, erwachte ich aus der Trance, und dann geschah alles gleichzeitig. Ich schrie auf, ich knallte die Tür zu und sperrte von außen ab, ich preschte durch die Wohnung, das Treppenhaus hinunter ins Freie, ich fetzte durch die Straßen wie ein Amokläufer, blind und taub für den Verkehr und die Passanten, die ich anrempelte, ich brach erst zusammen, als ich in der Pathologie bei meinen Leichen ankam.
    Seitdem wohne ich dort. Inoffiziell. Spaß macht das nicht. Ohne Getränke wär’s nicht auszuhalten. Neulich, beim Stöbern

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