Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
Vom Netzwerk:
beachteten ihn nicht. Nur ein Hund kam zu Kolkow, schnüffelte an ihm, hob eine Hinterpfote und spritzte Kolkow sein ekliges Hundezeugs mitten ins Gesicht. Wie angesengt sprang Kolkow auf und trat dem Hund mit aller Wucht in den Bauch. Kläglich winselnd kroch der Hund übers Trottoir, die Hinterpfoten nachziehend. Eine Dame fiel über Kolkow her, und als er sie wegstoßen wollte, klammerte sie sich an seinen Ärmel und rief nach der Miliz. Kolkow konnte sich mit seinen kranken Händen nicht von der Dame befreien und versuchte nur, ihr ins Gesicht zu spucken. Das gelang ihm so etwa vier Mal, und die Dame, die vollgespuckten Augen zugekniffen, kreischte die ganze Straße zusammen. Ringsum hatte sich schon eine Menschenmenge ver sammelt. Die Leute standen da, glotzten blöde und brachten hin und wieder ihr Mitgefühl für Kolkow zum Ausdruck. »Immer druff! Jawoll!«, sagte ein hochgewachsener Kerl in brauner Jacke, wobei er mit seinen krummen Fingern und schwarzen Fingernägeln in der Luft herumstocherte. »Dat is mir vielleicht ’ne Madame!«, sagte ein Weib mit dicken Lippen, das sich sein Kopftuch unterm Kinn zuband.
    In dem Moment brachte Kolkow es fertig, der Dame sein Knie in den Unterleib zu stoßen. Die Dame kreischte auf, sprang von Kolkow weg und krümmte sich vor rasenden Schmerzen wie ein Fiedelbogen. »Sagenhaft, wie der ihr eine unten reingerammt hat!«, sagte der Kerl mit den schwarzen Fingernägeln. Kolkow hatte die Dame endlich abgeschüttelt und lief rasch davon. Aber plötzlich, schon beim Sagorodny Prospekt, blieb Kolkow stehen: Er hatte vergessen, warum er aus dem Haus gegangen war. »Herrgott nochmal! Wieso bin ich eigentlich aus dem Haus gegangen?«, fragte sich Kolkow und sah erstaunt die Passanten an. Die Passanten sahen ihrerseits erstaunt Kolkow an.
    Ein altes Männlein ging vorbei und blickte sich dann die ganze Zeit nach ihm um, bis es hinfiel und sich seine Greisenvisage blutig schlug. Das erheiterte Kolkow, und er lief laut lachend den Sagorodny entlang.
    <1936–1938>

[Menü]
Der Vorfall mit meiner Frau
    Bei meiner Frau spielten wieder mal die Beine verrückt. Sie wollte sich in den Sessel setzen, aber die Beine trugen sie zum Schrank und sogar noch weiter durch den Flur und setzten sie auf einen Pappkarton. Aber meine Frau nahm all ihre Kraft zusammen, stand auf und bewegte sich Richtung Zimmer, doch ihre Beine spielten ihr erneut einen Streich und trugen sie an der Tür vorbei. »Heiliger Bimbam …«, sagte meine Frau, als sie mit dem Kopf gegen das Stehpult stieß. Ihre Beine spielten weiter verrückt und zerbrachen sogar eine Glasschale, die im Vorzimmer auf dem Boden stand. Schließlich ließ sich meine Frau in ihren Sessel fallen.
    »So, da bin ich«, sagte meine Frau übers ganze Gesicht strahlend und zog sich die Holzsplitterchen aus den Nasenlöchern, die dort stecken geblieben waren.
     
    <1936–1938>
     
     
    Ich wirbelte Staub auf. Kinder rannten mir hinterher und zerrissen sich die Kleider am Leib. Alte Männer und Frauen fielen von den Dächern. Ich pfiff, ich polterte, ich klapperte mit den Zähnen und stieß mit einem Metallstock auf den Boden. Die abgerissenen Kinder rannten mir nach, holten mich aber nicht ein und brachen sich bei der schrecklichen Hetzjagd die dünnen Beine. Die alten Männer und Frauen hopsten um mich herum. Ich rannte vorwärts! Schmutzige, rachitische Kinder, die aussahen wie Giftpilze, gerieten mir zwischen die Beine. Das Laufen fiel mir schwer. Ich stolperte alle Augenblicke, und einmal wäre ich beinahe in den weichen Brei aus alten Männern und Frauen gestürzt, die sich auf der Erde wälzten. Ich sprang hoch, riss einigen Giftpilzen die Köpfe ab und trat einer dürren Alten auf den Bauch. Die knirschte laut und gab leise von sich: »Zu Tode gequält haben sie mich.« Ich rannte weiter, ohne mich umzudrehen. Jetzt hatte ich sauberes und ebenes Pflaster unter den Füßen. Wenige Straßenlaternen beleuchteten meinen Weg. Ich lief zum Dampfbad. Ihr einladendes Licht flackerte schon vor mir, und der gemütliche, wenngleich stickige Badedampf stieg mir bereits in Nase, Ohren und Mund. Ich rannte, ohne mich auszuziehen, durch den Vorraum, dann an Wasserhähnen, Bottichen und Pritschen vorbei direkt zu einer Schwitzbank. Eine heiße weiße Wolke umgab mich. Ich vernahm einen schwachen, aber steten Ton. Anscheinend lag ich.
    … und just in dem Moment brachte die gewaltige Entspannung mein Herz zum Stillstand.
    1. Februar 1939
     
     
    Ein

Weitere Kostenlose Bücher