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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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Franzose hatte ein Sofa, vier Stühle und einen Sessel geschenkt bekommen.
    Der Franzose setzte sich auf den Stuhl am Fenster, dabei wollte er lieber auf dem Sofa liegen. Der Franzose legte sich aufs Sofa, und sofort wollte er lieber im Sessel sitzen. Da erhob sich der Franzose vom Sofa und setzte sich in den Sessel wie ein König, aber schon ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass es im Sessel doch allzu prachtvoll sei. Besser, etwas schlichter wäre es auf einem Stuhl. Also wechselte der Franzose vom Sessel auf den Stuhl am Fenster, bloß ließ es sich auf diesem Stuhl nicht so gut sitzen, denn am Fenster zog es irgendwie, darum setzte sich der Franzose auf den Stuhl neben dem Ofen und spürte Müdigkeit aufkommen. Da beschloss der Franzose, sich aufs Sofa zu legen und auszuruhen, doch er war noch nicht bis zum Sofa gelangt, da schwenkte er um und ließ sich in den Sessel sinken.
    »Voilà, hier ist’s gut!«, sagte der Franzose, fügte jedoch sogleich hinzu: »Aber auf dem Sofa, da ist es wohl doch besser.«
     
    
     
     
    Auf der Hauptstraße einer großen Stadt stand eine interessan te Dame in einem langen Sealmantel und ohne Handschuhe. Auf dem Kopf trug diese Dame ein kleines Käppchen, welches aus sehr kurz geschorenem Pelz gefertigt war. Zwischen den Zähnen hatte diese Dame eine schlanke Papirossa, aber die Papirossa war längst ausgegangen und ihr Rauch längst verflogen. Die Dame war sehr schön: Ihre Nase war gerade, unten mit einem kleinen Höcker und oben elegant geschwungen. Die Augen der Dame waren blau, aber so tief, dass sie mal schwarz und mal nicht schwarz, sondern braun wirkten. Die beiden Nasenlöcher der Dame waren groß, aber so gebaut, dass jeder, der vorbeikam, ohne seinen Schritt zu verlangsamen, einen Blick hineinwerfen und, zufrieden mit dem Inhalt der Nase der Schönen, seinen Weg fortsetzen konnte.
    Die schöne Dame wartete offensichtlich auf die Straßenbahn oder den Autobus. Sie nahm die Papirossa aus dem Mund, warf sie auf die Erde und trat sie mit dem Fuß aus.
    Plötzlich trat ein interessanter, von oben bis unten kariert gekleideter junger Mann auf diese Dame zu. Er kam deutlich erkennbar geradewegs vom Friseur, wo man ihn rasiert und aus Versehen mit dem Rasiermesser geschnitten hatte, denn quer über der Wange des jungen Mann klebte ein noch frisches Pflaster. Während sich der junge Mann der Dame näherte, hob er zum Gruß beide Arme. Bei dieser Bewegung platzte ihm unter der rechten Achsel das Jackett auf, und etwas Violettes lugte heraus.
    »Ach, Sie sind es«, sagte die Dame erfreut und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Und ich dachte, dass Sie es nicht sind«, sagte der junge Mann und neigte den Kopf zur Seite, machte dabei einen Kratzfuß, der jedoch offenbar danebenging, denn von dem Stiefel des Fußes, mit dem er den Kratzfuß machte, flog der Absatz ab.
    »Puh, wie ärgerlich!«, sagte der junge Mann, während er den Absatz aufhob und in der Hand drehte. »Das kommt vor«, sagte die Dame achselzuckend. »Und ich warte hier auf eine Straßenbahn oder einen Autobus.«
    »Ach?«, sagte der junge Mann, nachdem er sich noch einmal den Absatz angesehen und ihn weggeworfen hatte. »Gehen wir doch ins ›Europa‹.«
    »Ins ›Europa‹?«, fragte die Dame. »Na schön. Ist recht. Warum auch nicht?«
    Die Dame warf energisch den Kopf zurück und hakte sich bei dem jungen Mann ein.
    »Wie unverhofft ich Sie hier getroffen habe«, sagte der junge Mann, während er leicht humpelnd neben der schönen Dame herging.
     
    <1935–1936>
     
    »Europa«: das bekannteste und feinste Hotel und Restaurant der Stadt.
     
    Auf dem Bett warf sich ein nahezu durchsichtiger Jüngling hin und her. Auf einem Stuhl saß eine Frau, die das Gesicht mit den Händen bedeckte, wahrscheinlich seine Mutter. Ein Herr mit gestärktem Kragen, wahrscheinlich der Arzt, stand neben dem Nachttischchen. Die gelben Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen. Die Tür knarrte, und ein Kater guckte ins Zimmer. Der Herr mit dem gestärkten Kragen versetzte dem Kater einen Tritt vor die Schnauze. Der Kater verzog sich.
    Der Jüngling stöhnte. Der Jüngling sagte etwas. Der Herr, der aussah wie der Arzt, lauschte. Der Jüngling sagte: »Die Boote fahren.« Der Herr beugte sich über den Jüngling.
    »Was ist mit Ihnen, mein teurer Freund?«, fragte der Herr, über den Jüngling gebeugt. Der Jüngling lag auf dem Rücken, ohne ein Wort zu sagen, aber sein Gesicht war zur

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