Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
zentrale Grube nämlich.
Ich würde noch mehr über meine vorhandenen Kenntnisse schreiben, aber ich muss los und Machorka kaufen. Wenn ich rausgehe, habe ich immer einen dicken, knorrigen Stock dabei.
Den nehme ich mit, um damit Kinder zu verdreschen, die mir vor den Füßen herumwuseln. Wahrscheinlich nennt man mich deshalb den Kapuziner. Aber wartet nur, ihr Strolche, euch reiß ich noch die Ohren ab!
12. Oktober 1938
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Das Heft
Man hat mir eine Ohrfeige verpasst.
Ich saß am Fenster. Plötzlich ertönte auf der Straße ein Pfiff. Ich beugte mich aus dem Fenster und fing mir eine Ohrfeige ein. Ich zog mich zurück ins Haus. Und nun brennt auf meiner Wange, wie man früher sagte, unauslöschliche Schmach. Eine derart schmerzhafte Kränkung habe ich bisher nur ein Mal erfahren. Das kam so: Eine schöne Dame, die illegitime Tochter eines Königs, schenkte mir ein prachtvolles Heft. Das war für mich ein wahrer Festtag, so schön war das Heft! Ich setzte mich sogleich hin und fing an, Gedichte hineinzuschreiben. Doch als diese Dame, die illegitime Tochter eines Königs, sah, dass ich Gedichtentwürfe in dieses Heft schrieb, sagte sie: »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie Ihre stümperhaften Gedichte hier hinein schreiben, hätte ich Ihnen niemals dieses Heft geschenkt. Ich hatte vielmehr gedacht, dass dieses Heft Ihnen dazu dienen würde, kluge und nützliche Sätze abzuschreiben, die Sie in verschiedenen Büchern gelesen haben.« Ich riss die von mir beschriebenen Seiten aus dem Heft heraus und gab der Dame das Heft zurück.
Und jetzt, da man mir eine Ohrfeige durchs Fenster verpasst hatte, überkam mich erneut dieses mir bekannte Gefühl. Es war dasselbe Gefühl, das ich empfand, als ich der schönen Dame ihr prachtvolles Heft zurückgab.
12. Oktober 1938
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Geburtstagsmarsch
Anlässlich Nataschas Siebzigstem
Artomonow schloss die Augen, aber Chrytschow und Molotkow bedrängten Artomonow und warteten. »Na los! Na los!«, trieb Chrytschow ihn an.
Molotkow riss die Geduld, er zog an den hinteren Beinen des Stuhls, auf dem Artomonow saß, und Artomonow knallte auf den Boden.
»Ach, so ist das!«, schrie Artomonow und rappelte sich auf. »Wer hat mich da vom Stuhl runtergeschmissen?«
»Sie müssen schon entschuldigen«, sagte Molotkow, »wir haben schließlich lange gewartet, und Sie hocken die ganze Zeit da und sagen keinen Ton. Mich hat einfach der Teufel geritten. Unsere Geduld ist erschöpft.«
»Unsere Geduld!«, äffte Artomonow nach. »Und ich alter Mann soll mich wohl auf dem Fußboden rumwälzen, wie? Pfui! Eine Schande!«
Artomonow klopfte sich die Fußbodenflusen ab, die an ihm haften geblieben waren, setzte sich wieder auf den Stuhl und schloss die Augen.
»Was soll das eigentlich? Hm? Was soll das?«, legte plötzlich Chrytschow los und sah mal Molotkow, mal Artomonow an. Molotkow blieb eine Weile gedankenverloren stehen, dann bückte er sich und zog an den hinteren Beinen von Artomonows Stuhl. Artomonow rutschte vom Stuhl auf den Fußboden. »Da hört sich doch alles auf!«, schrie Artomonow. »Man schmeißt mich schon zum zweiten Mal vom Stuhl! Warst du das wieder, Molotkow?«
»Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll, Genosse Artomonow. Wir waren wohl wieder nicht ganz klar im Kopf. Sie müssen schon entschuldigen, Gen. Artomonow! Das ist nur die Ungeduld!«, sagte Molotkow und nieste.
»Das wird euch noch leidtun«, sagte Artomonow und erhob sich. »Das wird euch leidtun, Saubande.« Artomonow setzte sich auf den Stuhl.
»Das lass ich dir nicht durchgehen«, sagte Artomonow und drohte irgendjemandem mit dem Finger. Artomonow drohte lange irgendjemandem mit dem Finger, dann schob er die Hand vorne in die Weste und schloss die Augen.
Chruschtschow regte sich sofort auf:
»Oh-oh! Was soll denn das? Schon wieder? Wieder dasselbe!
Oh-oh!« Molotkow schob Chruschtschow beiseite und trat Artomonow mit der Stiefelspitze den Stuhl unterm Hintern weg. Artomonow krachte schwer auf den Fußboden.
»Drei Mal!«, flüsterte Artomonow. »Na warte …!«
In dem Moment ging die Tür auf, und meine Wenigkeit betrat den Raum.
»Stopp!«, sagte ich. »Schluss mit diesem Schwachsinn! Natalja Iwanowna wird heute siebzig!« Artomonow, der auf dem Boden saß, wandte mir sein dummes Gesicht zu und sagte, mit dem Finger auf Molotkow zeigend:
»Er hat mich drei Mal vom Stuhl runtergeschmissen …«
»Sch-scht!«, schrie ich. »Aufstehen!« Artomonow stand auf.
»Los, nehmt euch
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