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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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Menschen, als tue sich vor ihm ein riesiges schwarzes Fenster auf und seine zarte blässliche Menschenseele müsse zu diesem Fenster hinausfliegen, der leblose Körper aber bliebe samt den sinnlos ausgestreckten Beinen auf dem Bett liegen und die Uhr schlüge mit ihrem leisen Klang: »Und wieder ist ein Mensch entschlafen«, und in dem Moment fiele das riesige und vollkommen schwarze Fenster mit einem lauten Rums zu.
    Der Mensch mit Namen Oknow lag, die Beine sinnlos ausgestreckt, auf dem Bett und versuchte einzuschlafen. Aber der Schlaf floh Oknow. Oknow lag mit offenen Augen da, und schreckliche Gedanken hämmerten in seinem holzgewordenen Kopf.
     
    8. März 1938
     
    Er war so verdreckt, dass er einmal, als er seine Füße inspizierte, eine vertrocknete Wanze zwischen den Zehen fand, die er offenbar schon einige Tage am Fuß mit sich herumgetragen hatte.
    

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Die Mütze
    Antwortet der eine dem andern: »Ich hab sie nicht gesehen.« »Wie kannst du sie nicht gesehen haben«, sagt der andere, »wo du ihnen doch selbst die Mützen aufgesetzt hast?« »Das ist es ja«, sagt der eine, »die Mützen aufgesetzt hab ich wohl, aber gesehen hab ich sie nicht.« »Ja, wo gibt’s denn so was?«, sagt der andere, der mit dem langen Schnurrbart. »Ja«, sagt der Erste, »so was gibt’s.« Und er lächelt mit blauem Mund. Der andere, der mit dem langen Schnurrbart, gibt ihm, dem Blaugesicht, keine Ruhe und will eine Erklärung, wie es so was geben könne – Leuten Mützen aufsetzen und die Leute nicht bemerken. Aber das Blaugesicht bleibt dem Schnurrbärtigen die Erklärung schuldig, wiegt den Kopf und grinst sich eins mit seinem blauen Mund.
    »Ach, du Schlawiner, du«, sagt der Schnurrbärtige zu ihm. »Du willst mich, einen alten Mann, an der Nase herumführen! Gib mir jetzt eine Antwort und mach mich nicht verrückt: Hast du sie gesehen oder nicht?«
    Der andere, das Blaugesicht, grinst noch ein, zwei Mal, und plötzlich ist er weg, nur die Mütze schwebt noch in der Luft.
    »Ach, so einer bist du!«, sagt der schnurrbärtige Alte und langt nach der Mütze, aber die Mütze weicht der Hand aus. Der Alte tut einen Schritt auf die Mütze zu, die Mütze weicht wieder aus, seine Hand bekommt sie nicht zu fassen. Die Mütze fliegt die Nekrassow-Straße entlang, vorbei an einem Brotladen und am Dampfbad. Aus einer Bierstube kommen alle herausgelaufen, staunen die Mütze an und machen wieder kehrt. Aber der Alte rennt der Mütze hinterher, Hände vorneweg, Mund offen. Die Augen des Alten sind ganz glasig, der Schnurrbart wippt hin und her, und die Haare stehen ihm wie Federn in alle Himmelsrichtungen ab.
    Der Alte rennt bis zum Litejny Prospekt, aber da stellen sich ihm schon ein Milizionär und dann noch irgendein Bürger imgrauen Anzug in den Weg. Sie packen den wahnsinnigen Alten und verfrachten ihn irgendwohin.
     
    Daniil Charms
     
    21. Juli 1938
     
    Man nennt mich den Kapuziner. Dafür reiße ich jedem, der es verdient, die Ohren ab. Aber was mir einstweilen keine Ruhe lässt, ist der Ruhm von Jean-Jacques Rousseau. Warum wusste er alles? Wie man Babys wickelt und wie man Mädchen unter die Haube bringt! Ich würde auch gerne alles wissen. Ich weiß ja schon alles, nur bin ich mir meiner Kenntnisse eben nicht sicher. Über Kinder weiß ich genau, man soll sie überhaupt nicht wickeln, sondern vernichten. Zu diesem Zweck würde ich mitten in der Stadt eine Grube graben und alle Kinder da reinschmeißen. Damit aus der Grube kein Verwesungsgeruch dringt, könnte man einmal die Woche ungelöschten Kalk drüberstreuen. In dieselbe Grube würde ich mit einem Tritt auch alle deutschen Schäferhunde befördern. Und jetzt, wie man Mädchen unter die Haube bringt. Das ist meiner Meinung nach noch einfacher. Ich würde einen öffentlichen Saal bereitstellen, in dem sich, sagen wir, einmal im Monat die Jugend versammeln würde. Alle von 17 bis 35 müssten sich nackt ausziehen und im Saal herumgehen. Wenn sich zwei gefallen, dann gehen sie in eine Ecke und betrachten sich dort schon ausführlicher. Ich habe vergessen zu sagen, dass jeder ein Kärtchen mit Vorname, Name und Adresse um den Hals haben sollte. Dann kann man demjenigen, der einem gefallen hat, einen Brief schicken und nähere Bekanntschaft anknüpfen. Sollte sich ein alter Mann oder eine alte Frau in diese Dinge einmischen, schlage ich vor, sie mit der Axt zu erschlagen und dorthin zu schleppen, wo schon die Kinder sind, in die

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