Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
gegenüberliegenden Hauses zu fallen begann. Ida Markowna schaute genauer hin und sah, dass da gleich zwei Leute auf einmal zu fallen begannen. Vollkommen aufgelöst riss sich Ida Markowna das Hemd herunter und fing an, mit diesem Hemd hastig die beschlagene Fensterscheibe abzuwischen, um besser erkennen zu können, wer da vom Dach fiel. Als Ida Markowna jedoch klar wurde, dass die vom Dach Fallenden ihrerseits sie nackt sehen könnten und weiß Gott was von ihr denken mochten, tat sie einen Satz vom Fenster weg und versteckte sich hinter einem dreibeinigen Blumenständer aus Korbgeflecht, auf dem irgendwann mal ein Topf mit einer Blume gestanden hatte. In dem Moment sah eine andere Person, die im selben Haus zwei Etagen unter Ida Markowna wohnte, die beiden vom Dach Fallenden. Diese Person hieß ebenfalls Ida Markowna. Genau zu dem Zeitpunkt saß sie mit angezogenen Beinen auf der Fensterbank und nähte einen Knopf an ihren Schuh. Als sie hinausblickte, sah sie die beiden vom Dach Fallenden. Ida Markowna kreischte auf, sprang vom Fensterbrett und wollte hastig das Fenster öffnen, um besser sehen zu können, wie die vom Dach Fallenden auf der Erde aufschlugen. Doch das Fenster ließ sich nicht öffnen. Ida Markowna fiel wieder ein, dass sie das Fenster unten zugenagelt hatte und stürzte zum Ofen, in dem sie ihr Werkzeug aufbewahrte: vier Hämmer, einen Meißel und eine Zange. Ida Markowna schnappte sich die Zange, lief zum Fenster zurück und zog den Nagel heraus. Jetzt ging das Fenster leicht auf. Ida Markowna lehnte sichaus dem Fenster und sah, wie die vom Dach Fallenden mit einem Pfeifen der Erde entgegensausten.
Auf der Straße hatte sich bereits eine kleine Menschenansammlung gebildet. Schon ertönten Trillerpfeifen, und dem Ort des zu erwartenden Ereignisses näherte sich gemächlichen Schritts ein Milizionär von kleinem Wuchs. Ein langnasiger Hausmeister rannte hektisch hin und her, drängte die Leute beiseite und erklärte, dass die vom Dach Fallenden den Versammelten auf den Kopf krachen könnten. Zu dem Zeitpunkt lehnten sich bereits beide Ida Markownas, die eine im Kleid, die andere nackt, aus dem Fenster, kreischten und stampften mit den Füßen auf. Und da, endlich, schlugen die vom Dach Fallenden auf der Erde auf.
So fallen auch wir bisweilen von erklommenen Höhen hinunter und schlagen auf dem trostlosen Förderkorb unserer Zukunft auf.
D. Ch.
In vier Tagen geschrieben.
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Macht
Faol sagte: »Blindlings sündigen wir und tun Gutes. Ein Rechtsbeistand war auf dem Fahrrad unterwegs und plötzlich, bei der Kasaner Kathedrale angekommen, verschwand er. Wusste er, was zu schaffen ihm beschieden war – das Gute oder das Böse? Oder folgender Fall: Ein Schauspieler kaufte sich einen Pelz und tat damit wohl einer alten Frau, die den Pelz in der Not verkaufte, etwas Gutes, aber dafür tat er einer anderen alten Frau, seiner Mutter nämlich, die bei ihm wohnte und normalerweise im Vorzimmer schlief, wo er seinen neuen Pelz aufhängte, allem Anschein nach etwas Böses, denn der neue Pelz roch so unerträglich nach Formalin und Naphthalin, dass die alte Frau, die Mutter jenes Schauspielers, eines Tages nicht mehr aufwachen konnte und starb. Oder dies: Ein Grafologe schüttete sich mit Wodka zu und machte Sachen, dass wohl selbst Feldmarschall Diebitsch nicht hätte sagen können, was gut und was schlecht war. Eine Sünde vom Guten zu unterscheiden ist sehr schwer.«
Myschin, der über Faols Worte nachdachte, fiel vom Stuhl.
»Ho-ho«, sagte er, auf dem Fußboden liegend, »wa-wa.« Faol fuhr fort: »Nehmen wir die Liebe. Sie scheint etwas Gutes zu sein, aber dann auch wieder etwas Schlechtes. Einerseits heißt es: Du sollst lieben, andererseits: Du sollst nicht verwöhnen. Vielleicht dann besser überhaupt nicht lieben? Aber es heißt: Du sollst lieben. Aber wenn du liebst, verwöhnst du. Was tun? Vielleicht lieben, aber nicht so? Warum wird dann bei allen Völkern dasselbe Wort für so und so lieben verwendet? Ein Schauspieler zum Beispiel liebte seine Mutter und ein molliges junges Mädchen. Er liebte sie, jede auf verschiedene Art und Weise. Dem Mädchen gab er einen großen Teil seiner Einkünfte ab. Die Mutter musste oft hungern, das Mädchen aß und trank für drei. Die Mutter des Künstlers wohnte im Vorzimmer und schlief auf dem Fußboden, dem Mädchen standen zwei hübsche Zimmer zur Verfügung. Das Mädchen besaß vier Mäntel, die Mutter nur einen Mantel. Und dann nahm der
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