Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
ich nichts verstanden, was hilft es also, dass ich alles gesehen und gehört habe? Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, was ich gesehen und gehört habe. Ein paar Erinnerungsfetzen, Gekrakel und sinnloses Gebimmel. Da rennt ein Straßenbahnschaffner vorbei, ihm nach eine ältere Dame mit einer Schaufel zwischen den Zähnen. Jemand sagt: »… wahrscheinlich unterm Sitz hervor …« Ein nacktes jüdisches Mädchen spreizt die Beine und gießt sich aus einer Tasse Milch auf ihr Geschlechtsteil. Die Milch fließt in einen tiefen Teller. Aus dem Teller gießt man die Milch in die Tasse zurück und gibt sie mir zu trinken. Ich trinke; die Milch riecht nach Käse … Das nackte jüdische Mädchen sitzt mit gespreizten Beinen vor mir, ihr Geschlechtsteil trieft von Milch. Sie beugt sich vor und betrachtet ihr Geschlechtsteil. Aus ihrem Geschlechtsteil tropft jetzt eine transparente und zähe Flüssigkeit … Ich gehe durch den großen und ziemlich dunklen Hof. Auf dem Hof liegen Holzscheite, zu großen Haufen aufgeschichtet. Irgendjemandes Gesicht lugt hinter dem Holz hervor. Ich weiß: Das ist Limonin, der mir nachspioniert. Er guckt, ob ich auch nicht zu seiner Frau gehe. Ich biege nach rechts ab und gehe durchs Treppenhaus auf die Straße. Hinterm Tor schaut Limonins frohes Gesicht hervor … Und dann bietet mir Limonins Frau Wodka an. Ich trinke vier Gläschen, esse ein paar Sardinen dazu und denke an das nackte jüdische Mädchen. Limonins Frau legt mir ihren Kopf auf die Knie. Ich trinke noch ein Gläschen und zünde mir die Pfeife an. »Du siehst heute so traurig aus«, sagt Limonins Frau zu mir. Ich sage irgendwas Blödes zu ihr und gehe fort zu dem jüdischen Mädchen.
<1940>
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Sinfonie Nr. 2
Anton Michailowitsch spuckte aus, sagte »pah«, spuckte wieder aus, sagte wieder »pah«, spuckte wieder aus, sagte wieder »pah« und ging. Wie dem auch sei, ich erzähle lieber von Ilja Pawlowitsch.
Ilja Pawlowitsch wurde 1893 in Konstantinopel geboren. Noch als kleinen Jungen brachte man ihn nach Petersburg, und hier besuchte er die deutsche Schule in der Kirotschnaja-Straße. Dann arbeitete er in einem Geschäft, dann machte er noch irgendwas, und als die Revolution begann, emigrierte er ins Ausland. Wie dem auch sei, ich erzähle lieber von Anna Ignatjewna.
Doch von Anna Ignatjewna zu erzählen, ist gar nicht so einfach. Erstens weiß ich nichts über sie, und zweitens bin ich gerade vom Stuhl gefallen und habe vergessen, wovon ich erzählen wollte. Ich erzähle lieber von mir.
Ich bin groß, nicht dumm, trage elegante und geschmackvolle Kleidung, trinke nicht, gehe nicht zum Pferderennen, aber die Damen haben es mir angetan. Und die Damen meiden mich nicht. Sie haben es sogar ausgesprochen gerne, wenn wir uns zusammen vergnügen. Serafima Ismailowna hat mich mehrmals zu sich eingeladen, und Sinaida Jakowlewna hat auch gesagt, sie freue sich immer, mich zu sehen. Aber mit Marina Petrowna ist mir was Komisches passiert, wovon ich jetzt erzählen möchte. Eigentlich ein ganz normaler Vorfall, aber doch komisch, denn Marina Petrowna kriegte wegen mir einen ganz kahlen Kopf, so kahl wie eine flache Hand. Und das kam so: Einmal ging ich zu Marina Petrowna, und zack! – war sie kahl. Und Schluss.
Daniil Charms
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Rehabilitierung
Ohne zu prahlen, kann ich behaupten, dass ich mir Wolodja, als er mir eine reingehauen und auf die Stirn gespuckt hat, derart vorgeknöpft habe, dass er es nie vergessen wird. Erst danach habe ich ihn mit dem Petroleumkocher geschlagen und am Abend dann mit dem Bügeleisen. Er war also keineswegs auf der Stelle tot. Es beweist gar nichts, dass ich ihm das Bein bereits am Tag abgehackt habe. Da war er noch am Leben. Andrjuscha habe ich einfach so erschlagen, automatisch, das kann ich mir nicht vorwerfen. Warum mussten mir Andrjuscha und Jelisaweta Antonowna auch in die Finger geraten? Sie hatten doch gar keinen Grund, so plötzlich durch die Tür zu kommen. Man wirft mir vor, ich sei blutrünstig, man behauptet, ich hätte Blut getrunken, aber das stimmt nicht. Ich habe die Blutlachen und Flecken aufgeleckt; es ist das natürliche Bedürfnis eines Menschen, die Spuren seines Vergehens zu beseitigen, sei es auch noch so belanglos. Außerdem habe ich Jelisaweta Antonowna nicht vergewaltigt. Erstens war sie ohnehin keine Jungfrau mehr, und zweitens hatte ich es mit einer Leiche zu tun, und deshalb hatte sie keinen Grund, sich zu beschweren. Sie stand kurz vor
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